GLOBAL MINDS
Deutschland ist ein Land der Ideen – und viele dieser Ideen stammen von Menschen mit Migrationshintergrund. Statistisch betrachtet ist ihre Gründungsrate doppelt so hoch wie die von Menschen ohne Migrationshintergrund. Doch was motiviert sie dazu, ein eigenes Unternehmen zu starten? Und welche Herausforderungen begegnen ihnen auf ihrem Weg?
Gerade im Bereich Start-ups bringen migrantische Unternehmer:innen wertvolle Perspektiven und Innovationskraft mit. Doch die Herausforderungen sind oft groß: Zugang zu Netzwerken, Kapital und Sichtbarkeit sind für viele nicht selbstverständlich. Seit 2022 fördert The Migrant Accelerator (TMA) migrantische Gründer:innen in Deutschland. Die Initiative bietet bundesweit Zugang zu Mentor:innen, Netzwerken und finanzieller Unterstützung, um die oft komplexen Herausforderungen des deutschen Marktes zu bewältigen. Ein weiteres Schlüsselnetzwerk ist 2hearts, das Menschen mit Migrationshintergrund in Europas Tech- Industrie unterstützt. Die Initiative schafft eine diverse Community und bietet Mentoring für junge Talente.
Alesia Kunz (links) aus Belarus hat in Düsseldorf die Schulungsplattform LearnSlice gegründet.
ALESIA KUNZ: LEARNING PLATFORM FOR INTERNATIONAL TEAMS
Auch Alesia Kunz hat am TMA Programm teilgenommen und. Sie ist vor 10 Jahren aus Weißrussland nach Deutschland gekommen, um hier IT Projektleitung an der FH Dortmund zu studieren. Ihre Heimat bot kaum Karrieremöglichkeiten in der Tech-Branche. Heute ist sie Gründerin von LearnSlice, einer KI-gestützten Plattform, die Unternehmensinformationen und Schulungsmaterialien in interaktive Quiz-Datenbanken für Mitarbeiter:innen verwandelt. Ihre „interkulturelle Seele“, bezeichnet die 33-Jährige Entrepreneurin als große Chance in der Start Up-Welt. Kunzes interkulturelle Erfahrung hilft ihr, sprachliche und kulturelle Barrieren zu überwinden. Dennoch merkt sie, dass Vertrauen von Investor:innen oft schwerer zu gewinnen ist:
„Ich war froh, dass mein deutscher Co-Founder in Meetings dabei war“, sagt die Geschäftsführerin von LearnSlice. Eine Herausforderung bleiben die komplizierten deutschsprachigen Verträge und Rechtsfragen. Gleichzeitig sieht sie in ihrer Herkunft eine Chance: „Ich baue schneller Vertrauen zu Menschen mit Migrationshintergrund auf.“
SHIRAZ NAEEM: SUSTAINABILITY AS A BUSINESS MODEL
Der Vater als Vorbild: Shiraz Naaem (links) und sein Bruder Shahnawaz führen das international tätige Unternehmen SN Group.
Shiraz Naeem ist Gründer und Hauptinhaber der SN Gruppe, eines europaweit tätigen Unternehmens für Demontagen und nachhaltige Industrieverwertung. Sein unternehmerischer Weg wurde stark von der Geschichte seines Vaters geprägt, der in den 1980er Jahren aus Pakistan nach Deutschland kam. „Mein Vater verließ Pakistan, als meine Mutter mit mir schwanger war. Die ersten zwei Jahre meines Lebens habe ich ihn nicht gesehen“, erzählt Naeem. Erst später konnte die Familie nach Deutschland nachziehen. Sein Vater begann als Angestellter und machte sich schließlich mit einer Lederwarenfirma selbstständig. „Er hat Handtaschen und Portemonnaies importiert und verkauft. Ich habe als Lagerarbeiter geholfen und aus erster Hand gesehen, wie hart er arbeiten musste.“ Naeem folgte diesem Vorbild und erkannte während seines Studiums das Potenzial im Bereich nachhaltiger Industrieverwertung. „Ich habe schnell gemerkt, in was für einer Wegwerfgesellschaft wir leben – und daraus eine Geschäftschance entwickelt.“ Heute führt er ein Unternehmen mit über 180 Mitarbeitenden, das sich auf die nachhaltige Verwertung und Projektentwicklung spezialisiert hat. Auf die Frage, ob er als Gründer mit Migrationshintergrund Nachteile erlebt hat, antwortet er klar: „Ja, es gibt Barrieren. Bei Bewerbungen oder Geschäftsverhandlungen merkt man manchmal, dass ein ausländischer Name einen Unterschied macht. Deshalb wollte ich mein eigener Chef sein.“ Genau wie sein Vater hat Shiraz sehr hart gearbeitet, um seine Firma aufzubauen und gerade als Unternehmer mit Migrationshintergrund musste er besonders gute Leistung abliefern, Geschäftspartner zu überzeugen und weiterempfohlen zu werden. Sein Rat an junge Gründer:innen mit Migrationsgeschichte: „Kämpft und gebt nicht auf. Das soziale Netz in Deutschland ist eine gute Sache, aber keine Hängematte. Am Ende ist jeder für seinen eigenen Erfolg verantwortlich.“
SHAHNAWAZ MIAN: AI-POWERED CLOUD SOFTWARE
Shahnawaz Mian betont die Bedeutung von Netwerken für Gründer:innen mit Migrationshintergrund.
Bestes Beispiel dafür ist Shahnawaz Mian, 31, Gründer von Finokapi, einem Tech-Startup aus Düsseldorf. Er wurde in Pforzheim geboren, seine Eltern stammen aus Pakistan. Nach seinem BWL-Studium in Tübingen, Warschau und Münster entschied er sich für die Selbstständigkeit. Finokapi entwickelt eine KI-gestützte Cloud-Software, die kleine und mittelgroße Betriebe bei einer nachhaltigen Unternehmensführung unterstützt. „Die Migration meines Vaters in den 70ern war im Grunde eine andere Form von Entrepreneurship. Er setzte alles auf eine Karte. Diese Mentalität hat mich geprägt“, erklärt Mian. Seine interkulturelle Erfahrung hilft ihm in der Zusammenarbeit mit Fachkräften aus aller Welt. „Ich kann mich besser auf sie einstellen und ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis aufbauen, weil ich ihre kulturellen Umstände verstehe.“ Diskriminierung in der Startup-Welt hat er bisher nicht erlebt, doch Alltagsrassismus in früheren Jahren beeinflusste sein Selbstbewusstsein: „Vielleicht hätte ich früher gegründet, wenn ich mir mehr zugetraut hätte." Eine Tech-Konferenz machte ihm zudem ein strukturelles Problem bewusst: „Von über hundert Führungskräften waren nur zwei People of Color. Das steht im Kontrast zum hohen Anteil an PoC in der Tech-Branche insgesamt.“ Mian betont die Bedeutung von Netzwerken und Vorbildern für junge Menschen mit Migrationshintergrund. „Viele haben in ihrem Umfeld niemanden, der ihnen zeigt, dass Gründung eine Option ist.“
Gastronom und Sommelier Toni Askitis setzt mit Wein + Pommes die Tradition seiner Familie fort. Sein Vater kam als griechischer Gastarbeiter nach Deutschland.
TONI ASKITIS: FAMILY LEGACY IN HOSPITALITY
Der Düsseldorfer Gastronom und Sommelier Toni Askitis stammt aus einer Familie, die seit Generationen in der Gastronomie tätig ist. Sein Vater wanderte in den 1970er Jahren aus Griechenland nach Deutschland aus – mit nur zwei Hemden und einer Hose im Gepäck. Ursprünglich nur um kurz Geld zu verdienen, doch schließlich blieb er und machte sich selbstständig. In den 1980er Jahren eröffneten seine Eltern einen Kiosk in Düsseldorf, es folgten weitere, ein Imbiss und schließlich das Restaurant Askitis. Wie es in vielen südeuropäischen Familien üblich ist, half Toni von klein auf mit. Von seinem Vater lernte er vor allem zwei Dinge: Keine Angst vor Selbstständigkeit zu haben und Krisen mit vollem Einsatz zu begegnen. „Es gab Zeiten, da lief es richtig gut – und dann wieder Phasen, in denen jeder Cent zählen musste. Aber wir haben immer mit der gleichen Intensität weitergemacht.“ Ein weiterer wichtiger Wert, den ihm seine Eltern mitgaben, war ein positiver Blick auf seine interkulturelle Identität. „Ich habe gelernt, aus beiden Kulturen das Beste mitzunehmen.“ Das hilft ihm auch heute noch in seinem Geschäft: „Ich kann mit der deutschen Mentalität professionell und strukturiert arbeiten, aber gleichzeitig an den richtigen Stellen locker bleiben. Diese Balance hat mich weit gebracht.“ Dass Toni Askitis mit Wein + Pommes heute Düsseldorfs vielleicht hippsten Imbiss mit Weinbegleitung betreibt, schließt den Kreis.
Text: Karolina Landowski
Pictures: Mats Karlsson, SN Gruppe, Benni Janzen, Nico Spanier für Studio Pic.Nic., Nico von Nordheim