A LITTLE ISLAND OF DELIGHT
KUNST MEETS MARC THIELE
Er bringt ständig frischen Wind in die Düsseldorfer Event-Szene: Seit 15 Jahren verbindet Marc Thiele auf seiner Konferenz “beyond tellerrand” kreative und technikaffine Menschen, die über den eigenen Tellerrand hinausblicken wollen. Mit VIVID-Herausgeber Rainer Kunst spricht er darüber, wie das einzigartige Format entstand, wie es sich über die vielen Jahre weiterentwickelt hat, wie er das mit seinem Familienleben vereinbart und wohin die Reise noch gehen soll.
Lieber Marc, was ist Deine Superpower?
Ich glaube, ich bin ein guter Gastgeber. Und ich sehe bei anderen oftmals auch ihre Superpower und kann sie mit anderen Menschen, die ebenfalls eine Superpower haben, verbinden.
Wie bist Du auf die Idee gekommen, Konferenzen zu veranstalten?
Rückblickend war der Weg dahin eigentlich ziemlich klar. Schon in der Schule habe ich supergerne Veranstaltungen organisiert. Nach dem Abi habe ich dann eine Ausbildung zum Mediengestalter in einer Full-Service- Agentur in Düsseldorf absolviert und wurde übernommen. Ende der 1990er Jahre lernte ich dann den Düsseldorfer Sascha Wolter kennen, der gab Workshops zum Thema Flash – eine Programmierungsplattform für multimediale und interaktive Inhalte von Macromedia und später Adobe. Das hat mich total interessiert. Ich habe meine Anstellung also gekündigt und Sascha als Partner dabei unterstützt, das damals größte Forum für Flash im deutschsprachigen Raum mit 120.000 Usern zu betreuen. Daraus resultierte schließlich die erste Flash-Veranstaltung im Jahr 2001, die wir dann jährlich organisiert haben. Dort haben wir Menschen aus ganz verschiedenen Bereichen zusammengebracht: Designer:innen, Illustrator:innen, Filmemacher:innen, Programmierer:innen.
Und wie wurde aus der Flash-Veranstaltung das Konzept “beyond tellerrand”?
Das Ende des Programm- und Dateiformats Flash war abzusehen und ich habe mich gefragt: Wie kann man dieses Thema sichtbar machen, dass es nicht nur eine Webkonferenz ist, sondern eine Konferenz für neugierige Menschen, die über ihren eigenen Tellerrand hinaus Dinge ausprobieren möchten? Ich wollte den Web-Bereich mit anderen spannenden Themen wie zum Beispiel Typografie oder Grafikdesign vermischen. Und so kam es vor 15 Jahren zu beyond tellerrand.
Warum besuchen Menschen dieses Event?
Ich glaube, dass gerade die Menschen, die öfters bei beyond tellerrand zu Gast waren, gar nicht mehr nur kommen, um etwas Neues zu lernen. Sondern sie wollen sich einfach gerne überraschen lassen und vertrauen darauf, dass das eine inspirierende und schöne Veranstaltung wird. Und sie freuen sich auch auf das Netzwerken und diese positive Grundstimmung. Gerade in der aktuellen Zeit, wo vieles so schwarzgemalt wird. Ein Gast hat mir mal gesagt: beyond tellerrand sei für ihn eine “kleine Insel der Glückseligkeit”.
„Ich gehe an eine Konferenz heran wie an meine eigene Geburtstagsparty“
Was macht beyond tellerrand so einzigartig?
Ich glaube, es hat sehr viel damit zu tun, dass ich meine Rolle nicht als Konferenzveranstalter sehe. Ich bin Gastgeber und möchte, dass sich jede und jeder willkommen fühlt und ein freundlicher Umgang gegeben ist. Ich gehe an eine Konferenz heran wie an meine eigene Geburtstagsparty. Das hat viele Faktoren. Für die Sprecherinnen und Sprecher gibt es zum Beispiel keinen VIP-Raum, sondern es gibt halt nur den einen Saal für alle, weil sie genauso Teil der Veranstaltung sind wie die Zuschauenden. Es gibt auch keine Reserved Seats.
Hat sich das Format über die Jahre hinweg weiterentwickelt bzw. verändert?
Zum einen liegt heute noch mehr Fokus auf Diversität, was ich aber schon von Beginn an versucht habe zu leben. Ich schreibe mir das nicht groß auf die Fahnen, aber ich glaube, am Programm sieht man das und so muss es auch sein. Dann legen wir noch mehr Wert auf Nachhaltigkeit. Das sieht man zum Beispiel an den Artikeln unserer Sponsoren, die wir unseren Gästen mitgeben. Da sind keine Wegwerfware oder Flyer dabei, sondern Dinge, die wirklich gebraucht werden können. Durch die Pandemie hat sich zudem einiges geändert, was teilweise auch wieder erlernt werden muss. Zum Beispiel so ein face-to-face-Gespräch, wie wir es jetzt haben, ist nicht online zu ersetzen. Gerade für eine Konferenz sind der Hallway-Track und das persönliche Gespräch wesentlich.
Wie findest Du die Sprecherinnen und Sprecher für das Event?
Es ist Teil meines Jobs, dass ich dafür auf andere Veranstaltungen gehe und viel recherchiere. Teilweise sind es auch Empfehlungen, die ich mir dann genauer anschaue: Wie trägt er oder sie vor? Was ist der genaue Inhalt? Und auf der Bühne muss es dann ja auch eine gewisse Balance geben – von nachdenklich bis lustig. Deswegen habe ich einen sehr großen Pool an Vorträgen und Sprechenden, aus dem ich mich bediene. Auch das hat sich seit der Pandemie geändert: Während sich die Gäste früher mehr überraschen ließen, wollen viele heute vor dem Ticketkauf schon wissen, wer da vorträgt. Deswegen muss das Programm mit den Namen heute auch schon früher stehen.
Ihr seid ja im wahrsten Sinne ein Familienunternehmen. Deine Frau ist mit im Team und auch Deine Kids stehen mal auf der Bühne. Was macht das mit Euch als Familie, wenn sich fast alles um zwei Veranstaltungen im Jahr dreht?
Da ich mich als Gastgeber und den Beruf nicht separat sehe, ist es – wie bei vielen Selbständigen – natürlich schwieriger, vom Kopf her abzuschalten. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch schön, dass es viele Freiheiten bietet wie beispielsweise die persönliche Zeiteinteilung. Ich würde mal behaupten, dass ich meine Kinder habe heranwachsen sehen – und wer kann das schon behaupten? Das Verständnis meiner Frau dafür, dass ich so viel unterwegs bin, um das Business zu pflegen und quasi in unsere Zukunft zu investieren, ist über die Jahre gewachsen, wofür ich sehr dankbar bin.
Du hast Dich bei beyond tellerrand bewusst dazu entschieden, es bei einer Größe von maximal 500 Gästen zu belassen. Warum?
Eigentlich so ein bisschen aus der Angst heraus vor etwas Größerem, weil ich das ja alleine bzw. mit meiner Familie mache. Außerdem fühlt sich eine Gruppe von rund 500 Menschen noch überschaubar und kontrollierbar an. Ich glaube auch nicht, dass man bei größeren Gruppen noch diese familiäre Atmosphäre kreieren kann, die ja so geschätzt wird. Als beispielsweise 2013 das Event schnell ausverkauft war, habe ich deswegen nicht einfach die Veranstaltung vergrößert, sondern neben Düsseldorf eine zweite Venue in Berlin gefunden und das Event nach dem gleichen Konzept durchgeführt. Rückblickend war das auch nicht verkehrt, denn seit der Pandemie ist es für Konferenzveranstalter auch schwieriger geworden, große Events zu füllen.
ABOUT MARC THIELE
Marc Thiele ist mit Herz und Seele Veranstalter. Seit 2001 hat er eine Vielzahl an Veranstaltungen ins Leben gerufen, die immer auch Dreh- und Angelpunkt für die Entstehung und Pflege von Communities waren. 2010 hatte er die Idee, mit beyond tellerrand ein Event zum Themenübergreifenden Austausch ins Leben zu rufen. Andere Beispiele sind die Smashing Conference, die er 2012 zusammen mit Vitaly Friedman gegründet hat oder zahlreiche Roadshows und internationale Event-Formate für Firmen wie Shopify, Storyblok oder Adobe. Als Aufsichtsratsvorsitzender der Smashing Media AG liegen ihm aber auch weiterhin Web- und Online-Formate am Herzen, die er mit Leidenschaft betreut und aufbaut.
Wo geht Deine Reise noch hin?
Das hängt auch ab von der Frage: Wie lange funktioniert das Konzept beyond tellerrand noch? Und wann werde ich unglaubwürdig mit dem, was ich mache? Denn über die inzwischen 15 Jahre ist auch das Publikum mit mir gealtert. Die jungen Leute kommen nicht in dem Maße nach, wie es nötig wäre, um die Altersspanne von früher mal 25 bis 35 Jahren zu halten. Heute sind die Gäste eher zwischen 35 und 45. Liegt das an mir, weil ich die Jüngeren nicht mehr anspreche mit dem, wie ich es mache und was ich mache? Das sind die Dinge, die ich mich gerade frage. Ansonsten würde ich gerne auch noch andere Formate mal ausprobieren. Gerade arbeite ich zum Beispiel an einem Projekt mit einem befreundeten YouTuber. Mal gucken, wohin das führt. Ich glaube außerdem, dass es noch viele Themen gibt, wo der Bedarf groß ist, sich live zu treffen und auszutauschen.
Welche Konferenz wolltest Du immer schon mal machen?
Da gibt es eine, die ich sehr schön finde – die OFFF in Barcelona. Das ist ein Film- und Design-Event mit relativ jungem Publikum. Die haben so 3.500 bis 4.000 Gäste und einen tollen Festival-Charakter in lockerer Atmosphäre. Das liegt natürlich auch an Barcelona und an dem Wetter dort. Man kann deswegen auch viel draußen machen, inklusive Gastronomie. Das finde ich super.
Was magst Du an Düsseldorf?
Mein Herz hängt einfach an der Stadt. Meine Frau Tanja und ich haben uns hier kennengelernt. Zwei unserer Kinder sind hier geboren, wir haben hier eine lange Zeit gewohnt. Mein Bruder hat hier gewohnt und meine Schwester wohnt hier noch. Düsseldorf war und ist also immer so ein bisschen Dreh- und Angelpunkt von meinem Leben. Es hätte aus Neuss Norf heraus, dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin, auch genauso Köln werden können von der Entfernung her. Aber es war immer Düsseldorf. •
„Düsseldorf war und ist also immer so ein bisschen Dreh- und Angelpunkt von meinem Leben“
ABOUT BEYOND TELLERRAND
beyond tellerrand ist seit 15 Jahren eine erfolgreiche Veranstaltungsreihe im Bereich Web, Design und technisch orientierten Themen. Mit inspirierenden Vorträgen, aber auch der bekannt familiären Atmosphäre, die viele auch internationale Gäste anzieht, ist sie inzwischen nicht mehr nur in Düsseldorf zuhause. Es gab bereits Gastspiele in München, Hamburg oder Berlin. Nächste Gelegenheiten dabei zu sein sind der 5. und 6. Mai 2025 in Düsseldorf und der 6. und 7. November 2025 in Berlin. Mehr Infos unter beyondtellerrand.com.
Interview: Rainer Kunst
Text: Tom Corrinth
Pictures: Celine Al-Mosawi