Kunst trifft Thomas Geisel

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"Ich wünsche mir mehr Risikobereitschaft"

Wenn Oberbürgermeister Thomas Geisel die Zeit findet, geht er laufen. Genauso wie Rainer Kunst. Für VIVID haben sich die beiden zu einer gemeinsamen Runde am Rhein verabredet.

Es ist 7.15 Uhr an einem Freitagmorgen. Eigentlich war Rainer Kunst mit Oberbürgermeister Thomas Geisel erst um halb acht verabredet. Doch bei Temperaturen um den Gefrierpunkt machen sich die beiden mit Dehnungsübungen auf dem Parkplatz gegenüber vom Oberlandesgericht warm. Schnell ein paar Fotos direkt am Rheinufer und schon geht es los.

Kunst: Ist das Du ok?

Geisel: Unter Läufern wäre Sie komisch.

Kunst: Wie oft läufst du pro Woche?

Geisel: Ein-, zweimal. Ich laufe immer am Wochenende, meistens mit meiner Frau. Entweder zehn oder 20 Kilometer. Auf jeden Fall immer, wenn ich verreise, weil ich dann morgens keine Post, aber Zeit habe.

Kunst: Wie viel Marathons bist du schon gelaufen?

Geisel: Ich bin seit 1995 vielleicht 50 Marathons gelaufen. Mittlerweile zähle ich nicht mehr.

Kunst: Kannst du dich an deinen ersten Marathon erinnern?

Geisel: Den bin ich in Berlin aus einer Bierlaune gelaufen - und zwar völlig untrainiert. Nach 23 Kilometern lag ich in so einer Trage vom DRK und habe mir geschworen: Beim nächsten Mal schaffst du es ins Ziel. So ging es los. Allein in Berlin bin ich mittlerweile schon 18-mal mitgelaufen und habe dort eine ewige Startnummer.

Kunst: Warum das?

Geisel: Wer zehnmal ins Ziel kommt, ist automatisch Mitglied im Jubilee Club und erhält eine ewige Startnummer.

„Zwischen Düsseldorf und Köln könnte noch mehr laufen“

Kunst: Ist das in Düsseldorf auch so?

Geisel: Ich weiß es nicht.

Kunst: Wie ist deine Bestzeit?

Geisel: Ich bin 2001 in Hamburg 3:19 gelaufen.

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Es geht am Rhein entlang in Richtung Theodor-Heuss-Brücke und dann hinüber nach Niederkassel. Als Thomas Geisel 2014 sein Amt als Oberbürgermeister von Düsseldorf antrat, ging er mit einem Elf-Punkte-Plan an den Start. Einer der Punkte: aus Düsseldorf eine Start-up-Metropole zu machen.

Kunst: Du hattest dir 2014 vorgenommen, die Start-up-Szene zu fördern. Wo stehen wir denn da?

Geisel: Wir haben in den vergangenen drei Jahren drei Dinge erreicht: Erstens haben wir uns in der Community Reputation erarbeitet: Die Leute nehmen Düsseldorf durchaus als hippe Location wahr, in der es ein funktionierendes Ökosystem gibt. Zweitens nehmen immer mehr Menschen bei Veranstaltungen wie der Startup-Woche teil. Und drittens: Die Zahl der ansässigen Start-ups hat sich gut entwickelt. Was mich besonders freut: Start-ups, die nach Berlin gegangen sind, kommen mittlerweile auch wieder zurück nach Düsseldorf.

Kunst: Was muss noch besser werden?

Geisel: Ganz klar: Investoren zu finden. Hier brauchen wir noch mehr Instrumente, z.B. unterstützen wir die NRW.Bank bei ihrer Idee, einen Seed-Fonds aufzulegen. Aber auch von meiner eigenen Stadtsparkasse wünsche ich mir noch ein bisschen mehr Initiative und Risikobereitschaft. Und schließlich gibt es viele vermögende Personen in der Stadt. Es gibt also viel Geld, das man auch mal ein bisschen innovativer anlegen könnte. Es ist ja so: Von zehn Start-ups gehen sieben pleite, zwei entwickeln sich ok, und eins wird zum Star. Und wenn man vernünftig diversifiziert, dann rechnet sich auch so eine Anlage. Da können wir von den USA, vom Silicon Valley, noch einiges lernen.

Kunst: Ich war gerade im Silicon Valley. Mir ist besonders aufgefallen, wie gut die verschiedenen Institutionen untereinander vernetzt sind: Investoren, Verwaltung, Start-ups, etablierte Unternehmen und die Stanford-Universität mit ihrem Milliardenbudget. Wie gut funktioniert das bei den Düsseldorfer Hochschulen?

Geisel: Unsere Hochschulen haben erkannt, dass eine gute und national bekannte Start-up-Kultur auf den Wissensstandort Düsseldorf einzahlt. Ein Treiber ist Talent – und das haben wir hier in Düsseldorf. Wir haben mit der Wirtschaftsförderung ein Hochschulnetzwerk für Innovations- und Start-up-Themen initiiert. Und die Hochschule in Düsseldorf plant gerade einen Lehrstuhl für Digitalisierung.

Kunst: In Düsseldorf gibt es viele eta­blierte Konzerne. Was macht die Stadt, um das Zusammenkommen von Alt und Neu zu fördern?

Geisel: Zum einen haben wir ein Mentoringprogamm aufgelegt, das Corporates und Start-ups in Düsseldorf zusammenbringt. Und zum anderen ist diese Vernetzung eine zentrale Aufgabe des 2016 gegründeten Digihubs. Dort bringen wir Start-ups mit Konzernen und den vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen zusammen. Beide Seiten helfen sich: Start-ups erhalten wertvolle Geschäftskontakte, und etablierte Firmen erhalten Impulse, um sich auf die digitale Transformation einzustellen.

Kunst: Gibt es denn auch eine Vernetzung über Düsseldorfs Stadtgrenzen hinaus? Stichwort: Rheinschiene und Rhein-Ruhr-Gebiet.

Geisel: Die Digihubs arbeiten eng zusammen. Zudem gibt es die Initiative der Metropol­region Rheinland. Aber ganz klar: Ich finde auch, dass beispielsweise zwischen Düsseldorf und Köln noch mehr laufen könnte.

Deutliche Worte, die Thomas Geisel da wählt. Mittlerweile laufen die beiden in Oberkassel am Rhein entlang, das Panorama der Stadt auf der anderen Rheinseite vor Augen. Genau der richtige Zeitpunkt, um noch einmal auf die Stadt selbst zurückzukommen.

Kunst: Wie schafft man es, Unternehmen nach Düsseldorf zu lotsen?

Geisel: Düsseldorf ist ein sehr attraktiver Standort: Die geografische Lage in einer wirtschaftlich starken Region mit großem Kundenpotenzial, dazu der nah gelegene internationale Flughafen, die Messe – das sind wichtige Pfeiler für die Prosperität und die Attraktivität der Stadt. Dann haben wir in Düsseldorf eine sehr ausgeschlafene Wirtschaftsförderung mit einem ausgeprägten Servicebewusstsein. Das spricht sich rum.

Kunst: Firmen herlocken ist ja eine gute Sache. Aber die Gründer und deren Mitarbeiter brauchen ja auch Wohnungen zu einem bezahlbaren Kurs. Was kann man da machen?

Geisel: Wenn die Nachfrage steigt, muss das Angebot ebenfalls steigen, sonst steigt der Preis. Da hilft nur: bauen, bauen, bauen. Wir müssen viel mehr Wohnungen planen und fertigstellen. Unser Ziel sind 3.000 neue Wohnungen pro Jahr. Außerdem müssen wir die Durchmischung der Stadt aufrechterhalten: Wenn wir das dem freien Spiel der Kräfte überlassen, dann werden bestimmte Stadtteile wahnsinnige Preise ausweisen und andere werden abgehängt. Eine Großstadt ist dann attraktiv, wenn sie vielfältig ist. Bedeutet: Wo wir in Miethöhen und Grundstückspreise eingreifen können, müssen wir das tun.

 

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„Nur wer selbst begeistert ist, kann andere begeistern“

Kunst: Das Konzept der Zwischennutzung von bestimmten Gebäuden scheint ja ganz zu funktionieren.

Geisel: Es ist wirklich ärgerlich, dass Düsseldorf so spät mit dem Thema Zwischennutzung angefangen hat. Allein wie lange Objekte wie das postPost leer standen – und das in einer Stadt, in der nichts so knapp ist wie Flächen.

Kunst: Wenn ich mir das Olio anschaue, das ist das letzte gallische Dorf da auf dem ehemaligen Gelände des Güterbahnhofs. Wie kann eine Stadt die Subkultur am Leben halten?

Geisel: Die Subkultur ist in Bewegung – und zwar wörtlich und auch im übertragenen Sinn. In einer Stadt wie Düsseldorf, die so im Wandel ist, gibt es immer Flächen in einer Übergangsphase. Es gibt in der gesamten Stadt so viel Potenzial zur Zwischennutzung – eine große Chance für unsere Off- und Subkultur in Düsseldorf. Aber natürlich funktioniert das Konzept nur, wenn diejenigen, die die Flächen zur Nutzung bekommen, auch akzeptieren, dass es nur eine Zwischenlösung ist.

Kunst: Warum macht ihr aus der Alten Kämmerei nicht einen riesigen Start-up-Hub?

Geisel: Die Ausschreibung ist ja angelaufen. So ein Konzept ist sicherlich eine gute Idee. Es gibt sehr viele Bewerber mit attraktiven und innovativen Konzepten, die durchaus auch das Thema Start-up auf dem Schirm haben.

Kunst: Ein junger belebter Platz würde ja auch dem Image der Altstadt guttun.

Geisel: Absolut.

Von der Rheinkniebrücke geht es am Apollo zurück in Richtung Tonhalle. Endspurt. Dazu das Thema: Geisels Rolle als Oberbürgermeister.

Kunst: Ob Düsseldorf Photo und Photoweekend oder damals die Diskussion um die Tour de France – wie schafft man es, dass Diskussionen nicht so ausufern?

Geisel: Wenn du einen Vorschlag machst, der Spuren hinterlassen soll, dann hat dieser automatisch nicht nur Anhänger. Das Neue hat immer die Beweislast bei sich. Und man braucht immer einen langen Atem. Es hilft ein breites Kreuz, Frustrationstoleranz. Man muss selbst überzeugt und überzeugend sein. Nur wer selbst begeistert ist, kann andere begeistern und mitreißen. Die Tour de France ist da ein gutes Beispiel. Ich hatte damals keine leichte Zeit, bin aber sehr froh, dass ich mich da nicht habe beirren lassen. Das Ergebnis: Rekordzahlen bei Besuchern, Sichtbarkeit, Reputation – und das Wichtigste: Viele Düsseldorfer sind auch stolz drauf, was diese Stadt wuppt.

Kunst: Gibt es was, was du rückblickend lieber anders gemacht hättest?

Geisel: Ja klar gibt es immer Dinge, die man im Nachhinein hätte besser machen können. Bei der Benennung des Joachim-Erwin-Platzes beispielsweise hätte ich nicht rumeiern dürfen. Und klar hätte man die Vorteile der Tour de France kommunikativ früher und besser unter die Leute bringen können.

 

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„Es gibt immer Dinge, die man im Nachhinein hätte besser machen können“

Kunst: Im Dezember hat dir der FDP-Politiker Manfred Neuenhaus vorgeworfen, du hättest keine Vision für Düsseldorf. Trifft dich das?

Geisel: Ob ich eine Vision für Düsseldorf habe, müssen am Ende 2020 die Wähler beurteilen. Ich finde, wir leben in einer großartigen Stadt mit viel Potenzial, das bislang noch nicht gehoben ist.

Kunst: Was gibt der Marathonläufer Geisel dem Oberbürgermeister Geisel auf dem Weg?

Geisel: Man braucht einen langen Atem und darf keine Angst vor dem Mann mit dem Hammer haben.

Es ist 8.10 Uhr, als die beiden am Parkplatz ankommen. Sein Fahrer bringt Geisel direkt nach Hause zum Duschen. Um 9 Uhr muss er bei seinem ersten Termin im Rathaus sein.


 

Name Thomas Geisel

geboren am 26. Oktober 1963

Verheiratet mit Vera Geisel

Kinder fünf Töchter

Oberbürgermeister seit 15. Juni 2014

Werdegang Verschiedene politische Funktionen in der SPD und Abteilungs-
leiter der Treuhandanstalt. Von 1998 bis 2013 in der Energiewirtschaft bei Enron und E.ON, 2013 selbstständiger Rechtsanwalt.