Ein recycelbares Materiallager

Im Düsseldorfer Medienhafen entsteht das erste recycelbare Bürohaus in NRW.
„The Cradle“ heißt es. Der Entwurf stammt von dem Düsseldorfer Architekturbüro HPP Architekten und wurde bereits vor dem ersten Spatenstich mit einem Preis ausgezeichnet.
Das Konzept gilt als zukunftsweisend.

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Das Bauprojekt, dessen Start für 2019 geplant ist, basiert auf dem „Cradle-to-Cradle“-Prinzip (deutsch: von der Wiege bis zur Wiege). Ganz im Sinne des Kreislaufgedankens können einzelne Bestandteile des Gebäudes nach dessen Abriss wiederverwendet werden. Nicht recycelbare Materialien werden hingegen minimiert, der CO2-Ausstoß deutlich reduziert. Das Konzept ist nicht ganz neu: Cradle to Cradle, kurz C2C, wurde in den 1990er-Jahren von dem Verfahrenstechniker Michael Braungart und dem Architekten William McDonough entwickelt. Es basiert auf der Idee, dass der Mensch eine Partnerschaft mit der Natur eingeht. Um diesen neuen Ansatz zu verstehen, muss man sich von alten Denkmustern verabschieden, die den Menschen als Schädling wahrnehmen, der sein zerstörerisches Handeln reduzieren muss. Warum nämlich nur weniger schlecht sein, wenn man auch gut sein kann?

Das perfekte Vorbild für Cradle to Cradle lässt sich im Tierreich finden: bei den Ameisen. Obwohl die Insekten sich in fast allen Lebensräumen angesiedelt haben, stellt ihre Existenz kein Problem für die Umwelt dar. Ihr Geheimnis: Sie sind wahre Wiederverwertungsmeister, die nicht nur ihre eigenen Materialien recyceln, sondern auch die Abfälle anderer Organismen. Nährstoffe werden kontinuierlich wiederverwendet. Müll existiert nicht. Das ist nur eins von drei Prinzipien, die dem Konzept C2C zugrunde liegen: Die Nutzung von erneuerbaren Energien und die Unterstützung von Diversität sind die anderen.

Das Grundstück, auf dem „The Cradle“ entstehen soll, liegt im Düsseldorfer Medienhafen, Speditionstraße 2. Bis zum ersten Spatenstich im kommenden Jahr steht es der Allgemeinheit zur Verfügung. Der Bauherr Interboden hat eine Wildblumenwiese angelegt, mehrere Bänke aufgestellt. Eingefasst von einem Jägerzaun entstand so ein grüner Ruhepol inmitten des hektischen Treibens im Medienhafen. HPP Architekten hat seine Räume direkt um die Ecke, auf der Kaistraße. Seit anderthalb Jahren beschäftigen sich die Architekten nun schon mit dem C2C-inspirierten Projekt. Mit „The Cradle“ begibt sich das renommierte Düsseldorfer Architekturbüro auf Neuland, nie zuvor hat man ein derartiges Gebäude geplant. Folgerichtig habe man sich zunächst mal andere Projekte in dem Bereich angeschaut, erklärt Antonino Vultaggio, der bei HPP für das Projekt zuständige Partner. Eine der ersten Fortbildungsreisen führte die Düsseldorfer Architekten nach Venlo. Die niederländische Stadt hat sich die Cradle-to-Cradle-Idee prominent auf die Fahne geschrieben. Im sogenannten Innolab werden Produkte präsentiert, deren Bestandteile komplett wiederverwendbar sind. Auch das neue Rathaus entstand nach dem C2C-Prinzip. Für die Stadt sei das Thema eine Erfolgsgeschichte, weiß Vultaggio. Auch bei den grenznahen deutschen Kommunen interessiere man sich derzeit sehr für Cradle to Cradle. Die Industrie habe das Prinzip ohnehin längst für sich entdeckt. Komplett recycelbare Teppiche sind bereits zu haben, ebenso Fliesen oder Stühle.

Unsere Ressourcen 
sind endlich. Wir 
werden also gar nicht 
drum herumkommen, 
umzudenken.

In der Baubranche gibt es hingegen bisher weniger Erfahrungen in dem Bereich. Dabei ist gerade dort ein Umdenken erforderlich, wie Antonino Vultaggio ausführt: „Die Bauindustrie produziert nahezu die Hälfte des gesamten Mülls. Und unsere Ressourcen sind ja endlich. Wir werden also gar nicht drum herumkommen, umzudenken.“ HPP hat die Zeichen der Zeit erkannt und macht in Düsseldorf den Anfang. „The Cradle“ ist das erste an das C2C-Prinzip angelehnte Bürogebäude in der Stadt. Ab dem kommenden Jahr soll es auf dem Grundstück an der Speditionstraße – in direkter Nachbarschaft des Trivago-Headquarters – entstehen.

Gebaut wird in sogenannter Holzhybridbauweise. „Während wir im Erdgeschoss noch einen klassischen Betonbau haben, sind ab dem ersten OG sämtliche Decken und Stützen aus Holz und nur der Kern, also das Fluchttreppenhaus und die technischen Erschließungen, aus Beton. Das ist das Hybride“, so Vultaggio. In Sachen Klimaschutz sei Holz als Rohstoff ohnehin unschlagbar. So entstehen bei der Produktion von einer Tonne Beton 130 Kilogramm CO2, bei einer Tonne Stahl gar 
1,3 Tonnen CO2. Bäume hingegen nehmen Kohlendioxid auf und haben so einen positiven Einfluss auf den ökologischen Fußabdruck.

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Die Materialien 
werden so verbaut, 
dass man sie problemlos 
wieder demontieren und in der Folge wieder-
verwerten kann.

The Cradle funktioniere wie ein Materiallager der Zukunft, erklärt Architekt Vultaggio: „Noch vor Baubeginn werden wir einen Materialkatalog erstellen. Die Materialien werden dann so verbaut, dass man sie problemlos wieder demontieren und in der Folge wiederverwerten kann.“ Natürlich sei Holz als Baustoff nicht so leistungsfähig wie Stahl oder Beton. Dennoch sind den Gebäuden in der Höhe nicht zwangsläufig Grenzen gesetzt. Wien und Amsterdam können beispielsweise bereits mit Holzhochhäusern aufwarten. Und im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg entsteht gerade das 18-stöckige Studentenwohnheim „Woodie“, dessen Höhe nach Fertigstellung immerhin rund 64 Meter betragen soll. Der kleine Bruder in Düsseldorf wird, wenn er 2021 fertig ist, gerade einmal fünf Etagen haben. Darauf verteilen sich 5.200 Quadratmeter Büro- und 600 Quadratmeter Gastronomiefläche. Im Erdgeschoss wird eine Servicestelle für Mobilität, ein sogenannter „Mobility -Hub“, etabliert, in dem Ladestationen oder Car- und Bikesharing-Angebote zur Verfügung stehen werden. Eine Nachfrage nach den Flächen sei bereits jetzt zu spüren. „Von namhaften Unternehmen, die sich mit so einem Gebäude gut identifizieren können“, sagt Vultaggio und nennt selbstverständlich keine Namen. Auch von konkreten Interessenten abgesehen seien die Rückmeldungen zu 99 Prozent positiv bis begeistert. „Dass wir bereits vor Baubeginn so viele positive Rückmeldungen bekommen, ist für uns als Architekten etwas Besonderes. Das bestärkt uns in der Umsetzung dieses innovativen Projekts“, so der 46-Jährige. Und auch einen Preis konnte HPP Architekten für das zukunftsweisende Konzept der Circular Economy bereits einheimsen: Bei der Immobilienmesse MIPIM in Cannes wurde „The Cradle“ im März mit dem international renommierten „The Architectural Review Future Project Award“ in der Kategorie „Office“ ausgezeichnet. ●

www.c2c-ev.de
www.hpp.com


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