Finding the CO₂ Balance

 

Das Prinzip der CO₂-Kompensation: Klimaschädliche Emissionen werden durch Zertifikate aus Klimaschutzprojekten ausgeglichen. Was steckt genau dahinter? Und wann ist das Instrument sinnvoll?

 

Es gibt viel zu tun, um die Erderwärmung zu stopen. Die EU-Länder haben sich im Rahmen des Europäischen Grünen Deals darauf verständigt, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu senken. Ein erster wichtiger Schritt, um bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden. Mehr als zwölf Gesetzesnovellen flankieren dieses Vorhaben. Über die gesetzlichen Pflichten hinaus tut aber auch jedes Unternehmen, jede Organisation und jede Privatperson gut daran, sich aus eigenem Antrieb für den Schutz des Klimas einzusetzen – und damit für einen Planeten, auf dem auch nachfolgende Generationen noch gut leben können.

Eine Maßnahme ist das Prinzip der freiwilligen Klimakompensation: Treibhausgase, die an einem Ort ausgestoßen werden – allen voran das am meisten vom Menschen verursachte CO₂ –, werden in gleicher Höhe an einem anderen Ort eingespart. Und zwar durch die gezielte Finanzierung von Entwicklung- und Klimaschutzprojekten, zum Beispiel den Ausbau von Solarstrom, Biogasanlagen und Wasserkraft. Die ursprünglich entstandenen Emissionen werden auf diese Weise „ausgeglichen“. Wo Ausstoß und Einsparung im Einzelnen stattfinden, ist dabei nicht entscheidend, da Treibhausgase ohnehin nicht an ihrem Entstehungsort verbleiben, sondern sich in der Atmosphäre verteilen. Hierin unterscheidet sich der Klimawandel im Übrigen auch von örtlich begrenzteren Umweltproblemen wie Wasser- oder Luftverschmutzung.

In der Praxis funktioniert Klimakompensation mithilfe von CO₂-Zertifikaten aus Klimaschutzprojekten. Ein Zertifikat entspricht in der Regel einer Tonne CO₂. Privatpersonen oder Unternehmen, die Zertifikate erworben haben, gleichen damit gewissermaßen die Menge an CO₂ aus, die sie ausstoßen. Wer genügend Zertifikate besitzt, um die selbst verursachten Emissionen zu kompensieren, darf sich „klimaneutral“ nennen. Die Berechnung erfolgt mithilfe von CO₂-Rechnern, wie sie etwa das Umweltbundesamt oder auch verschiedene Anbieter für Klimakompensation auf ihren Websites zu Verfügung stellen. Zu ihnen zählen beispielsweise die Klimaschutz-Organisationen Atmosfair oder Myclimate Deutschland.

So sinnvoll das Prinzip der Kompensation auch sein mag: Sollten wir uns nicht vielmehr darum bemühen, unseren CO₂-Ausstoß zu verringern und bestenfalls komplett zu vermeiden? „Die ambitionierte Vermeidung und die Reduktion von Treibhausgasen sind für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels essentiell“, bestätigt Peter Renner, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Allianz für Entwicklung und Klima. Das 1,5-Grad-Ziel wurde 2015 durch das Pariser Klimaabkommen festgelegt. Hierin hatte sich die Weltgemeinschaft darauf verständigt, den menschengemachten globalen Temperaturanstieg auf höchstens 1,5 Grad zu begrenzen. „Geben Sie der Vermeidung von Treibhausgasemissionen Vorrang vor deren Kompensation“, rät ebenso das Umweltbundesamt auf seiner Website. 

 

„Die ambitionierte Vermeidung und die Reduktion von Treibhausgasen sind für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels essentiell.”

Peter Renner, Chairman of the Board, Stiftung Allianz für Entwicklung und Klima


Bei vielen Aktivitäten, etwa beim Heizen oder Staubsaugen, ist eine solche Vermeidung allerdings bislang nicht möglich. Für zahlreiche Produkte und Dienstleistungen existieren schlichtweg noch keine klimafreundlichen Alternativen – erst recht nicht solche, die für alle bezahlbar wären. In diesen Fällen dürfte das Prinzip der Kompensation eine sinnvolle Alternative darstellen. „Der Ausgleich von nicht oder noch nicht vermeidbaren Treibhausgas-Emissionen über qualitativ hochwertige Projekte in Ländern des globalen Südens ist ein weiterer Schritt, um nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz wirkungsvoll voranzubringen und das Klima zu stabilisieren“, so Peter Renner weiter. Der durch ihn vertretenen Allianz für Entwicklung und Klima, die sich für die Förderung von nachhaltiger Entwicklung und Klimaschutz einsetzt, ist auch die Landeshauptstadt Düsseldorf im August 2022 beigetreten.

Privatpersonen und Unternehmen, die ihren eigenen CO₂-Ausstoß ausgleichen möchten, sollten sich über die Qualitätskriterien der jeweiligen Anbieter gut informieren. Ein besonderes Gütesiegel ist etwa der Gold-Standard. Entsprechende Projekte leisten einen Beitrag zum Klimaschutz, aber auch zu mindestens einem der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, mit denen weltweit ein menschenwürdiges Leben möglich werden und die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft bewahrt werden sollen. •


Gelebter Klimaschutz: Geschulte Techniker in Tansania installieren Solar Panels auf den Dächern von Häusern und Hütten. 

Compensate - the right way

25 der weltweit größten Unternehmen halten in Sachen Klimaschutz häufig nicht das, was sie versprechen. Das gemeinnützige NewClimate Institute hat in Zusammenarbeit mit der Non-Profit-Organisation Carbon Market Watch im Februar 2022 eine entsprechende Studie vorgelegt: Demnach kommen die Unternehmen bei der Reduktion des Ausstoßes klimaschädlicher Treibhausgase  durchschnittlich nur auf 40 Prozent – und nicht auf 100 Prozent, wie es Begriffe wie „Netto-Null“ und „klimaneutral“ nahelegen. Laut Studie werden sich 24 von 25 Unternehmen wahrscheinlich auf Kompensationsgutschriften unterschiedlicher Qualität verlassen. 

Ob die für Klimaschutzprojekte geltenden Kriterien im Einzelfall eingehalten werden, ist tatsächlich bisweilen schwer zu erkennen, da viele verschiedene Standards existieren. Das Umweltbundesamt hat mit dem Ratgeber „Die freiwillige CO₂-Kompensation“ die wichtigsten zusammengestellt. Die Publikation gibt außerdem einen Überblick über die gängigsten Projekttypen und Fachbegriffe. •


Words Karolina Landowski
Pictures iStock, Stiftung Allianz für Entwicklung und Klima, Die Hoffotografen GmbH, Myclimate