Climate Mission: Possible

 

Inmitten und trotz vieler Krisen hat die Landeshauptstadt ein ehrgeiziges Ziel fest im Blick: Klimaneutralität 2035. Wie man das schaffen will und was dafür nötig ist – darum geht es in dieser VIVID-Ausgabe.

 

Das Klima wandelt sich. Das spüren wir in NRW nicht nur Mitte November 2022 bei 18 Grad Celsius, das lässt sich auch an verschiedenen Parametern des Deutschen Wetterdienstes ganz klar ablesen. So ist die mittlere Jahresmitteltemperatur in NRW im Vergleich der Zeiträume 1881-1910 und 1991-2020 um 1,6 Grad Celsius angestiegen. Im selben Vergleichszeitraum hat der durchschnittliche Jahresniederschlag um 7 Prozent zugenommen, am deutlichsten im Winter. Es gibt fünf Eistage weniger im Vergleich der Zeiträume 1891-1920 mit 1991-2020. Noch drastischer: Auf dem zweithöchsten Berg in NRW, dem Kahlen Asten, hat die Zahl der Schneetage im Vergleich der Zeiträume 1951-1980 mit 1991-2020 um 25 Tage abgenommen! Wenn man sich gleichzeitig vor Augen führt, dass mehr als 20 Prozent des deutschen Industrie-Umsatzes in NRW erwirtschaftet wird, wird klar: Die Industrie hat eine besonders wichtige Rolle auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045, die sich die Landesregierung zum Ziel setzt. 

In Düsseldorf nimmt man das Thema sehr ernst: Im Juli 2019 hat der Stadtrat beschlossen, dass die Landeshauptstadt bis 2035 klimaneutral werden soll – und damit 15 Jahre früher als zuvor geplant. Klimaneutral bedeutet: Die jährliche Pro-Kopf-CO2-Emission in der Stadt darf nicht mehr als 2 Tonnen betragen. Die aktuelle vorliegende CO2-Bilanz aus 2018, veröffentlicht im Jahr 2020, bescheinigt jedoch noch eine Pro-Kopf-CO2-Emission von rund 6 Tonnen – also die dreifache Menge des Wunschziels (die erwartete CO2-Bilanz 2020 wird voraussichtlich im Januar 2023 veröffentlicht – VIVID wird berichten). Motivieren dürfte aber ein Blick auf die bisherige Entwicklung: Im Jahr 1987 lag die Pro-Kopf-CO2-Emission noch bei über 14 Tonnen! Am meisten eingespart hat seitdem der Sektor Gewerbe/Industrie (-70 Prozent gegenüber 1987), der rund 40 Prozent der Gesamtemissionen ausmacht. Gefolgt von den städtischen Einrichtungen (-52 Prozent), die rund 2 Prozent der Gesamtemissionen ausmachen, und den privaten Haushalten (-39 Prozent), die rund 30 Prozent der Gesamtemissionen ausmachen. Schlusslicht mit großem Abstand ist der Verkehr mit gerade einmal 6 Prozent Einsparung, wobei er für stattliche 27 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich ist – hier liegt also noch besonders viel Verbesserungspotential!

CO2-Emissionen in 1.000 Tonnen/a (Quelle/Source: Klimafreundliches Düsseldorf – Energie und CO2-Bilanz 2018)

Um den sogenannten „Pfad der Klimaneutralität“ erfolgreich zu beschreiten, gibt es klare Prioritäten. Erstens: Energieverbrauch vermeiden. Zweitens: Energieverbrauch dekarbonisieren, zum Beispiel durch den Bezug von Ökostrom. Drittens: Kompensieren (siehe S. 38). Diese Priorisierung zieht sich wie ein roter Faden durch alle Klimaschutzmaßnahmen der Stadt in allen vier Sektoren (siehe Interview dem Leiter des Amtes für Umwelt-und Verbraucherschutz Thomas Loosen auf S. 14). Dem Ausbau der Fernwärme kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Liegt die aktuelle zusätzliche Anschlussleistung bei rund 15 Megawatt jährlich, soll sie laut Stadtwerken Düsseldorf (SWD) im Jahr 2026 bereits 30 Megawatt betragen. „Schrittweise wird unsere ohnehin schon klimafreundliche Fernwärme noch grüner – denn wir integrieren weitere CO2-arme Wärmequellen, wie die industrielle Abwärme, in unser System. Darüber hinaus prüfen wir regenerative Wärmequellen wie solare Wärme und Erdwärme (Geothermie), um noch unabhängiger von externen Energiequellen zu werden“, erklärt SWD-Vertriebsvorstand Manfred Abrahams.

 

„Schrittweise wird unsere ohnehin schon klimafreundliche Fernwärme noch grüner“

Manfred Abrahams, Sales Director Stadtwerke Düsseldorf

Bereits seit 2008 unterstützt die Stadt ansässige Betriebe in puncto Klimaschutz mit dem Förderprogramm Ökoprofit®. Dabei arbeitet die Kommune als Initiatorin mit Kooperationspartnern wie etwa der IHK, der Kreishandwerkerschaft oder den Stadtwerken sowie den teilnehmenden Betrieben in einem Netzwerk zusammen. „Es finden gemeinsam regelmäßige Workshops statt, die Betriebe werden bei ihren geplanten Maßnahmen individuell begleitet und beraten und mit Arbeitsmaterialien unterstützt“, erklärt Katja Hansen-Röhe, die als Geschäftsführerin des Beratungsunternehmens Wertsicht das Programm im Auftrag der Stadt betreut. Mittlerweile 69 Unternehmen unterschiedlicher Größe und aus unterschiedlichen Branchen – vom Sanitärunternehmen über den Finanzdienstleister bis hin zum Museum – haben sich in den vergangenen sieben Staffeln des Programms erfolgreich zertifizieren und teilweise auch rezertifizieren lassen. Dafür müssen sie ihre durchgeführten Maßnahmen in einer Erfolgs-Ökobilanz genaustens dokumentieren. Seit dem Start von Ökoprofit® haben die teilnehmenden Betriebe durch das aktive Engagement ihrer Mitarbeitenden insgesamt 2,9 Mio. Euro Kosten eingespart – allein die eingesparte Energiemenge von über 32 Mio. kWh reicht aus, um ungefähr 1.700 Drei-Personen-Haushalte ein Jahr lang mit Energie zu versorgen. Obendrein blieben der Atmosphäre über Düsseldorf jährlich mehr als 14.000 Tonnen CO2 erspart. Das Ökoprofit®-Zertifikat kann durchaus auch beim Recruiting hilfreich sein: „Vor allem jüngere Menschen schauen bei der Jobsuche mittlerweile sehr genau hin, wie nachhaltig ein Arbeitgeber wirklich ist“, weiß Katja Hansen-Röhe. Die aktuelle Energiekrise scheint das Interesse am Programm noch zu verstärken: Anfang November 2022 ist die achte Staffel mit 16 Betrieben – so vielen wie nie zuvor – an den Start gegangen. „Ich glaube die Welt hat nur eine Chance, wenn wir fair und ökologisch wirtschaften. Jedes Unternehmen kann diesbezüglich etwas tun, so wie auch jede Privatperson etwas tun kann. Es geht darum einfach anzufangen im eigenen Rahmen und in einem Netzwerk auch von anderen zu lernen“, so Hansen-Röhe.

„Es geht darum einfach anzufangen im eigenen Rahmen und in einem Netzwerk auch von anderen zu lernen“

Katja Hansen-Röhe, Managing Director Wertsicht

 

Von anderen lernen und mit vereinter Kraft etwas für den Klimaschutz tun – darum geht es auch in einem weiteren, bisher einzigartigen Netzwerk, das sich derzeit in der Stadt formiert: dem Düsseldorfer Klimapakt. Als Initialpartner haben sich dafür die Stadt, IHK, Handwerkskammer und Kreishandwerkerschaft Ende 2021 in einer Vereinbarung gemeinsam verpflichtet, übergreifend zusammenzuarbeiten. „Durch die Bündelung aller Veranstaltungs-, Netzwerk- und Förderangebote der Initialpartner nutzen wir völlig neue Synergien und können die Düsseldorfer Betriebe umfassender, gezielter und effektiver in puncto Klimaschutz unterstützen. So etwas gab es vorher noch nicht auf kommunaler Ebene!“, erklärt Theresa Winkels, die Amtsleiterin der Wirtschaftsförderung. Jedes Unternehmen in Düsseldorf kann „Klimapartner“ beim Klimapakt werden und so öffentlich zeigen, dass es Klimaschutzziele verfolgt und in konkreten Maßnahmen umsetzt – zahlreiche haben die Klimaschutzvereinbarung bereits unterzeichnet (siehe S. 34). Unterstützt werden sie zum einen in Form von individuellen Beratungs-, Förder- und Kommunikationsangeboten, für die zeitnah eine eigene Geschäftsstelle zentraler Ansprechpartner sein wird. Zum anderen werden sie Teil des Netzwerkes Klimapakt, um sich in regelmäßigen Netzwerk-Treffen mit anderen Betrieben auszutauschen und voneinander zu lernen – auf diese Weise können auch Innovationen entstehen. „Die allermeisten Unternehmerinnen und Unternehmer wissen, dass sie handeln müssen, sie wissen aber nicht immer genau wie. Durch unser Netzwerk schaffen wir eine Plattform, um diese Unsicherheit zu nehmen und zeigen neue Wege der Kollaboration auf“, so Theresa Winkels. 

Mit 16 Düsseldorfer Betrieben – und damit so vielen wie nie zuvor – ist das Programm Ökoprofit® Anfang November in eine neue Runde gestartet. 

Auch auf internationaler Ebene liegt der Schlüssel – neben weniger Energieverbrauch und dem Ausbau der Energieinfrastruktur – in der Kollaboration. Der bekannte Physiker Harald Lesch beispielsweise fordert im empfehlenswerten Buch „Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden“ gemeinsam mit seinen Co-Autoren zu mehr Eigeninitiative auf: „Es würde allen Ländern erhebliche Vorteile bringen, die Energiewende als gemeinsames Projekt voranzutreiben“. Dass die Situation in den Ländern unterschiedlich sei, dürfe nicht als Argument dienen, zuerst auf die anderen Länder zu warten. „Wir sollten die Energiewende bei uns trotzdem mit voller Kraft vorantreiben, gleichzeitig aber international denken.“ •


Climate protection and climate adaptation

  • Diese beiden Begriffe werden fälschlicherweise häufig synonym verwendet, obwohl es sich um zwei unterschiedliche Themenbereiche mit unterschiedlichen Zielen handelt.

  • Klimaschutz hat zum Ziel die menschengemachte Erderwärmung einzudämmen – etwa durch weniger Ausstoß von klimaschädlichen Gasen, wie CO2 oder Methan. Dabei helfen Maßnahmen wie zum Beispiel energieeffizientere Technik, der Ersatz von fossilen Energieträgern durch erneuerbare Energien oder Aufklärungskampagnen. Mehr als 80 Prozent der weltweiten Treibhausgase werden in Städten emittiert – gerade hier ist der Klimaschutz also enorm wichtig!

  • Klimaanpassung hat zum Ziel, den bereits heute und auch in naher Zukunft spürbaren und unumkehrbaren Folgen des Klimawandels – etwa mehr Hitze, längere Trockenphasen, mehr Starkregen – mit bestimmten Maßnahmen zu begegnen. Dazu zählen zum Beispiel Begrünung und Verschattung, Bewässerung und Entwässerung oder der Aufbau von Monitoring- und Warnsystemen


How Düsseldorf’s CO2 balance is calculated

Wie in jeder Stadt in Deutschland wird die CO2-Bilanz nach dem Territorialprinzip errechnet: Es werden nur die Energieverbrauchsdaten bilanziert, die dem Stadtgebiet zuzurechnen sind. Außerdem wird nur die verbrauchte Endenergie berücksichtigt, also zum Beispiel der Strom aus der Steckdose, das Erdgas aus der Leitung oder das Öl im Heizungstank – nicht aber Energie aus der sogenannten Vorkette, die bei der Gewinnung oder dem Transport benötigt wird. Den verschiedenen Energieträgern (z. B. Strom, Fernwärme, Erdgas, Heizöl etc.) werden bestimmte Emissionsfaktoren zugeordnet, die angeben wie viele CO2-Emissionen pro verbrauchter Kilowattstunde (kWh) entstehen. Mit Hilfe der Emissionsfaktoren wird die Gesamtemission in der Stadt berechnet. Diese betrug im Jahr 2018 3.861.000 Tonnen CO2 – verteilt auf die damals rund 642.300 Einwohner:innen sind das ca. 6 Tonnen pro Kopf.


How to do more for the climate!

Mehr geht fast immer: Hier finden Sie wichtige Adressen für Ihr Business in puncto Beratung, Förderprogramme und Networking

  • Vom klimafreundlichen Wohnen und Arbeiten über Begrünung bis hin zum Solarservice – das Umweltamt bündelt hier zahlreiche Beratungs- und Förderprogramme. Speziell für Unternehmen gibt es unter anderem das Ökoprofit-Programm und die Mobilitätspartnerschaft Düsseldorf:
    https://www.duesseldorf.de/umweltamt/


  • Sie suchen Förderprogramme etwa in den Bereichen Energieversorgung, Gebäude und Wärme oder Energie- und Ressourceneffizienz?
    Der Förder-Navi von NRW.Energy4Climate hilft
    https://tool.energy4climate.nrw

  • Mit der neuen Transformationsberatung erhalten NRW-Unternehmen Hilfe beim Übergang zum klimaneutralen und digitalen Wirtschaften:
    https://www.mags.nrw/transformationsberatung

  • Schwerpunktmäßig kleine und mittelgroße Unternehmen bekommen hier vom Land NRW Starthilfe in puncto Beratung, Kredithilfen und Konzepterstellung für die eigene klimaneutrale Transformation:
    https://www.wirtschaft.nrw/

  • Im Düsseldorfer Bündnis für Nachhaltigkeit können sich Non-Profit-Organisationen austauschen und vernetzen:
    https://www.duesseldorf.de/nachhaltigkeit

 

Words Tom Corrinth
Pictures iStock, Stadtwerke Düsseldorf, Wertsicht, Landeshauptstadt Düsseldorf (Ingo Lammert)