Inclusion benefits all

In Deutschland leben knapp 8 Millionen schwerbehinderte Menschen – das entspricht einem Anteil von über 9 Prozent der Gesamtbevölkerung. Inklusion ist also längst kein Nischenthema mehr, sondern sollte auf der Agenda jedes Unternehmens stehen, das Diversität und gesellschaftliche Teilhabe ernsthaft umsetzt.


Bei der Gemeinnützige Werkstätten Neuss GmbH besteht für Mitarbeitende die Möglichkeit, einen so genannten "betriebsintegrierten Arbeitsplatz (BiAp)" zu erhalten.

Der junge Mann sei mit Abstand der beste Bewerber gewesen, erzählt Thomas Thiede, Personalleiter bei der Kiepe Electric GmbH, ein weltweit agierender Hersteller elektrischer Systeme für Schienenfahrzeuge und Busse mit Hauptsitz in Düsseldorf-Hassels. Er hatte in seiner Bewerbung nicht erwähnt, dass er eine Beeinträchtigung habe. Erst als der zukünftige Azubi zum Vorstellungsgespräch im Rollstuhl und mit seinem Lebensbegleiter erschien, sei man darauf aufmerksam geworden. „Wir haben dann intern überlegt, ob wir dem jungen Mann einen Ausbildungsplatz anbieten können, da wir nicht zu hundert Prozent barrierefrei sind“, so Thomas Thiede. Hierzu habe man sich dann aber Lösungen überlegt und ihn eingestellt; eine Entscheidung, die der Personalleiter nie bereut hat.


Mario, 31 Jahre alt, Mitarbeiter der GWN und derzeit in einem Praktikum für einen betriebsintegrierten Arbeitsplatz (BiAp) „Ich bin schon seit 9 Jahren bei der GWN in Neuss. Meine Betreuer und ich haben aber irgendwann gemerkt, dass ich mit den Aufgaben dort unterfordert bin. Daher bin ich ins Integrationsmanagement gewechselt und habe ein Praktikum bei einer großen Firma bekommen. Die Arbeit hat mir gut gefallen, auch mein Anleiter war sehr zufrieden mit mir, aber leider bieten die keine BiAps an. Mein Betreuer hat mich dann in ein Praktikum bei Novopress ins Lager vermittelt. Hier bin ich jetzt seit vier Wochen und es läuft richtig gut. Ich verpacke, kommissioniere und fahre auch mit dem Gabelstapler. Es sieht so aus, als könnte ich hier einen BiAp bekommen. Novopress bietet mir eine echte Perspektive. Vielleicht kann ich hier einen Arbeitsvertrag bekommen. Das würde mehr Geld, aber auch mehr Selbständigkeit bedeuten.“


Die Kiepe Electric GmbH ist ein weltweit tätiger Hersteller elektrischer Systeme für Schienenfahrzeuge und Busse mit Hauptsitz in Düsseldorf-Hassels.

Derzeit sind zwei weitere Menschen mit Beeinträchtigung in einem Praktikum mit realistischer Perspektive auf Festanstellung bei der Kiepe tätig. Diese haben Thomas Thiede und Sarah Schneider, Generalistin in HR bei der Kiepe GmbH und schwerpunktmäßig zuständig für das Recruiting, über den sozialen Träger Arbeiterwohlfahrt gGmbH (AWO) kennengelernt. „Einer der Praktikanten ist im kaufmännischen, einer im gewerblichen Teil tätig. Beide machen sich super und sind inzwischen richtig gut ins Team integriert“, erzählt Sarah Schneider. Bei einem der Praktikanten sei sogar eine Übernahme in eine Ausbildung im Gespräch. Die Praktika der beiden jungen Männer, die bereits mehrfach verlängert wurden, verstehen alle Beteiligten als eine Art verlängerte Einarbeitungszeit. Hierzu gehört auch, sich über die konkreten Beeinträchtigungen der neuen Mitarbeitenden zu informieren. Dabei bekommen Sarah Schneider und Thomas Thiede viel Unterstützung von der AWO. „Wir sind im engen Kontakt mit den Betreuerinnen, die unsere Praktikanten auch schon einmal einen ganzen Arbeitstag lang begleitet haben und einmal die Woche zu einem Gespräch vorbeikommen, um zu schauen, wo man den Arbeitsplatz verbessern oder Abläufe optimieren kann. Wir finden oft ganz einfache Lösungen, die man schnell umsetzen kann“, so Thomas Thiede. Wichtig sei zudem, dass die Mitarbeitenden mit Beeinträchtigung intern einen festen Ansprechpartner zugewiesen bekämen. „Beide Praktikanten sind glücklich, hier zu arbeiten und helfen zu können. Das verbessert tatsächlich merklich das Betriebsklima“, freut sich Sarah Schneider. Die Zusammenarbeit mit den Praktikanten trägt nicht nur zur Verbesserung des Betriebsklimas bei – sie stellt sogar Veränderungen an sich selbst fest. „Ich bin insgesamt viel geduldiger geworden, bemühe mich, Dinge besser und einfacher zu erklären. Und ich achte mehr darauf, was ich sage. Unser Praktikant nimmt Metaphern oder bildliche Sprache oft wörtlich. Das kann dann auch schon mal zu lustigen Missverständnissen führen“, lacht sie. Thomas Thiede ergänzt: „Privat hatte ich bisher überhaupt keinen Kontakt zu Menschen im Autismusspektrum. Aber ich lerne immer mehr darüber und mithilfe der AWO auch, wie ich im Arbeitsalltag besser auf die Beeinträchtigungen reagieren kann. Ich denke, ich spreche für alle Kolleg:innen, wenn ich sage: Diese Mitarbeitenden sind für uns eine Bereicherung – nicht nur, weil sie Tätigkeiten übernehmen, die unsere Facharbeiter:innen entlasten.“


Wir sind im engen Kontakt mit den Betreuerinnen, die unsere Praktikanten auch schon einmal einen ganzen Arbeitstag lang begleitet haben und einmal die Woche zu einem Gespräch vorbeikommen, um zu schauen, wo man den Arbeitsplatz verbessern oder Abläufe optimieren kann.

Menschen mit Beeinträchtigungen können nicht nur Fachkräfte entlasten, sondern auch selbst welche werden.

Wenn die Anstellung der Praktikanten konkret wird, schaltet die AWO den Integrationsfachdienst (IFD) vom Träger Landesverband Rheinland (LVR) ein, der im Arbeitsalltag weiterhin Betrieb und Mitarbeitende berät und den Schwerbehindertenbeauftragten der Kiepe unterstützen kann.

Wer einen Schwerbehindertenstatus hat, seinen Platz aber nicht auf dem 1. Arbeitsmarkt findet, kann alternativ in einer „Werkstatt für Menschen mit Behinderung“ arbeiten. Zum Beispiel bei der GWN, kurz für Gemeinnützige Werkstätten Neuss, die 1972 als gGmbH gegründet wurde und Personen mit körperlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen die Möglichkeit auf Beschäftigung und Teilhabe an der Arbeitswelt bietet. Klaus Hempel ist bereits seit 21 Jahren hier tätig und arbeitet als Integrationsmanager.

Seine Abteilung ermöglicht es Werkstatt-Mitarbeitenden, doch noch Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden. „Wir akquirieren geeignete Stellen für Kandidat:innen, die sich gut entwickelt und sichtbare Fortschritte in den Förderbereichen Lernen und Sozialverhalten gemacht haben. Dann besteht eine realistische Chance, dass so eine Person einen betriebsintegrierten Arbeitsvertrag bei einem unserer Auftraggeber bekommen kann“, erklärt Klaus Hempel.

Ein Kooperationspartner der GWN ist die NOVOPRESS GmbH, ein globaler Player in Neuss, der Presswerkzeuge und -maschinen produziert und bereits seit vielen Jahren mit der GWN im Werkstattbereich zusammenarbeitet. Hier hat die GWN inzwischen auch Mitarbeitende in einem sogenannten. „Betriebsintegrierten Arbeitsplatz“, kurz BiAp, positioniert. „Ein Mitarbeitender mit einem BiAp entlastet Facharbeiter:innen, indem er kleine Teilaufgaben von ihnen übernimmt“, erklärt Klaus Hempel.

Findet sich in der Werkstatt ein passender Kandidat oder Kandidatin, werden zunächst einmal entsprechende Qualitäten herausgearbeitet und der passende Betrieb ausgesucht. „Bestenfalls kommt es dann zum Abschluss eines Praktikumsvertrags.“ Wenn nach Ablauf eines sechswöchigen Praktikums beide Seiten zufrieden sind, bekommt der Mitarbeitende einen BiAp angeboten. Kooperationspartner für solche Arbeitsplätze sind neben großen Unternehmen wie NOVOPRESS vor allem Kindertagesstätten und Senioreneinrichtungen, aber auch Ministerien oder Stadtbibliotheken sowie die Lebenshilfe e.V.

Wichtig ist, dass die Mitarbeitenden bei einem BiAp die Zeit bekommen, nach und nach in ihre Aufgaben und die Teams in den Unternehmen hineinwachsen. „Der Umfang der Tätigkeit steigt oft mit der Dauer des BiAp. Auch das Vertrauen auf beiden Seiten muss wachsen“, erklärt Klaus Hempel. Denn eins ist sicher: Inklusion ist ein Gewinn – und zwar für beide Seiten. Interessierte Unternehmen können die GWN daher direkt über die Abteilung Integrationsmanagement oder den Vertrieb kontaktieren. Derzeit sind 17 Mitarbeitende auf der Suche nach einem BiAp.


Wir akquirieren geeignete Stellen für Kandidat:innen, die sich gut entwickelt und sichtbare Fortschritte in den Förderbereichen Lernen und Sozialverhalten gemacht haben.

Als schwerbehindert gelten Personen, denen Versorgungsämter einen Behinderungsgrad von mindestens 50 zuerkannt haben. Gründe hierfür können körperliche, aber auch psychische Beeinträchtigungen sowie chronische oder akute Erkrankungen sein. Die Bundesagentur für Arbeit stellt für diese Menschen interessante Fördermöglichkeiten zur Verfügung: Die Förderhöhe kann bis zu 70 % des Arbeitsentgelts und die Förderdauer bis zu 24 Monate betragen.


Words: Katja Vaders
Pictures: GWN, KIEPE