"It´s the Space that creates Identification"

 

Keine Frage, Walid El Sheikh ist in Düsseldorf eine Größe. Der Unternehmer und Kunstliebhaber, Investor und Berater ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten Gastronomen.

 

Ein urbaner Sehnsuchtsort: „The Paradise Now“ ist Bar, Restaurant, Club und Bistro in einem.

Es ist Montagmorgen, 10 Uhr. Der 44-Jährige ist seit zwei Stunden in seinem Büro im ersten Stock am Grabbeplatz 2. Dort in der Altstadt im Dreieck von Kunstsammlung NRW, von Kunsthalle und der Deutschen Oper am Rhein, wo vormals jahrelang Weltkunst in der renommierten Galerie Hans Mayer ausgestellt war, befindet sich die Schaltzentrale des rasant wachsenden Unternehmens. In El Sheikhs Terminkalender stehen heute das tägliche Meeting mit seinen engsten Mitarbeitern, Besprechung mit dem Architekten, Baustellen-Besichtigung eines neuen Wohnprojekts in Flingern, ab 14 Uhr Familienzeit mit der Tochter – doch vorher das Gespräch mit VIVID über Kunst und Kneipen, Sehnsuchtsorte und Heimat, über Motivation und Mobilität.

Expansion und kein Ende in Sicht. In den vergangenen sechs Jahren haben Sie fünf neue, stilistisch bis ins kleinste Detail durchdeklinierte Lokale realisiert und inszeniert. Was treibt Sie an, stets Neues zu wagen?

Es ist die Idee, mit künstlerischem Anspruch, eigene Welten zu schaffen, wo Menschen sich treffen, wo Emotionen frei werden, wo der Gast in einer besonderen Atmosphäre eintauchen, Sinnliches erleben kann. Vor mehr als 20 Jahren habe ich parallel zum Studium an der Folkwang Universität Essen in der Anaconda Lounge mitgearbeitet. Damals ist mir bewusst geworden, dass die Gestaltung eines Raumes eine entscheidende Rolle für die Qualität der Begegnung spielt. Bei jedem unserer Projekte geht es um Fragen: Wie kann ich den Gast an diesem Ort visuell und seelisch berühren? Welches Licht, welche Optik, welche Haptik würde passen? Wir gestalten dann das Spielfeld, stiften lokal verortet Identität, schaffen Unverwechselbares. Die Würze sind das Ambiente, die Musik, die Projektionen und die Gäste, die allabendlich wechseln und so die Stimmung verändern.

So unterschiedlich die Lokale sind – ihnen allen ist gemein, dass sie mehrheitlich in der Altstadt und dort eher untypisch sind.

Ja, das ist mir tatsächlich sehr wichtig. Zum Beispiel nach der Silvesternacht 2015/2016, als es in Köln und anderen Orten zu sexuellen Übergriffen gekommen ist, sind anschließend Frauen monatelang nicht mehr alleine ohne männliche Begleitung ausgegangen. Mit der Elephant Bar wollte ich ein öffentliches Statement abgeben und nicht für Frauen, sondern für ein anspruchsvolles Publikum einen Grund schaffen, in die Altstadt zu gehen. Wir verändern seitdem kulturell das lokale Leben und prägen die Ausgehkultur. Denn durch die Elephant Bar gemeinsam mit der Brauerei Kürzer, der Bar Cherie und dem legendären Knoten hat die Kurze Straße eine unglaubliche Wandlung erlebt. Junge Düsseldorfer haben sich ein Stück Altstadt zurückerobert. Nehmen wir die neue Weinbar. Viele haben uns gewarnt, ein solches Konzept werde in der Altstadt nicht aufgehen. Doch das Gegenteil ist der Fall – es funktioniert. Ich sehe uns als Pioniere, die einen Weg ebnen für Menschen, die ein größeres Interesse haben als nur Saufengehen und auf dem Weg dorthin laut zu grölen. Wir bringen eine größere soziale Durchmischung an einen Ort, der vermeintlich stigmatisiert ist.

Vermeintlich?

Ja. Wenn man die Zahlen ins Verhältnis bringt, sind bei der großen Anzahl an Gästen allabendlich die Fallzahlen an Schlägereien eher gering. Das Image, das die Altstadt hat, entspricht nicht der Realität. Auffallend ist jedoch die Asymmetrie in der Berichterstattung: Sobald Probleme auftauchen, wird darüber in den Medien exzessiv berichtet. Öffnet jedoch eine neue spannende Location, ist dies häufig nur eine Randnotiz. Das Positive bleibt unerwähnt. Ich leugne nicht, dass es schwierige Orte gibt – wie an der Rheinufer-Promenade. Dort ist die Hürde für Krawallmacher sehr niedrig, es gibt keine gesellschaftliche Kontrollinstanz, es entsteht schnell ein Vakuum, das sich eher negativ füllt. Ein ganz anderes Bild zeigt sich, wenn kulturelle Angebote wie Japan-Tag, Jazz-Rallye oder Frankreichfest locken.

Sie haben ein Faible für Schönheit, für Kunst, Kultur und Architektur. Was oder wer inspiriert Sie, immer wieder neue Bühnen zu entwerfen?

Konzeptionell entwickeln wir uns stetig weiter, jedes neue, aus eigenen Mitteln finanzierte Projekt entsteht als ein Spin-off aus den bestehenden. 2016 wurde aus dem ehemaligen Q-Stall die Elephant Bar. Bis dato gab es in der Altstadt keine klassische American Bar mit Ambiente im Stil der 60er Jahre mit viel Holz, Marmor und Leder, dazu supergute Drinks und Old School Hip- Hop-Musik. Nach dem kleinen Wohnzimmer im Ausgehviertel, entstand kurz darauf das Tor zur großen weiten Welt. Allen Widerständen und Unkenrufen zum Trotz haben wir an der Heinrich- Heine-Allee das Sir Walter eröffnet. Es stellt alle Regeln (Lage, Größe, etc.) der Gastronomie auf den Kopf und strahlt schon durch seine gewaltigen Ausmaße Weltstädtisches aus. Zum ersten Mal haben wir national Aufsehen erregt und bis heute stehen die Leute Schlange, um reinzukommen. Weiter ging es mit der Anaconda Lounge, die ich komplett zur Oh Baby Anna umgestaltet und 2022 abgegeben habe. Mit der Boston Bar eröffnete die erste Düsseldorfer Sportsbar im Sommer 2020. Das Glanzstück – mitten in der Pandemie gestartet – ist das weltweit beachtete Paradise Now – ein Dreiklang aus Restaurant, Bar und Club

Ihre Konzepte sind elaboriert und eskapistisch. Sie sprechen von Sehnsuchtsorten. Was bedeutet das?

Im Paradise Now bedienen wir die Sehnsucht nach Ferne und Wärme, nach geschmeidigem Material und schmeichelndem Licht, hier kann man sich aus dem Alltag ausklinken, ohne auf Reisen zu gehen. Der Ort ist fotogen, die Bilder, die dort gemacht werden, haben einen ungeahnten Hype ausgelöst, sie überfluten Social Media, erzielen enorme Reichweiten, werden zum Gesprächsstoff, machen neugierig. Das Paradise Now ist die Benchmark, die in New York, Paris und London Nachahmer findet. Eine andere Art von Erlebnisgastronomie bietet die Weinbar Fett. Unbehandelte Holztische, Stühle, die auch als abnehmbare Deko- Elemente an den unperfekten, roh belassenen Wänden hängen, Kerzenlicht, im Zentrum die grün gekachelte Bar, dazu Video-Installationen und romantische Musik – das weckt die Sehnsucht nach Freiheit in der Heimat. Dort bin ich quasi Zuhause, kann mich fallen lassen mitten in der Altstadt – ohne Eintritt vorbei an Türsteherinnen, keine Reservierungen, keine Kulinarik, dafür Wein, ein Bier, ein Wasser, ein Longdrink und diverses, freundlich lächelndes Personal. Erlebnis kann man nicht austrinken oder essen, es ist der Raum, der Identifikation schafft.

Ihr Zuhause ist Düsseldorf. Hat es sie nie woanders hingezogen?

Vor dem Studium schon, aber mir fehlte der Mut, alle Zelte abzubrechen. Hier lebt meine große Familie, einige Geschwister arbeiten im Unternehmen mit. Düsseldorf ist meine Heimat und die perfekte Plattform, um Kunst zu erleben, sie zu genießen. Es ist mir ein Anliegen und es macht mir großen Spaß, hier etwas zu bewegen, selbst mit eigenen Projekte und auch als Berater das lokale Leben und Stadtentwicklung mit zu gestalten.

Aktuelles Stichwort: Mobilität. Die Innenstadt ist voller Baustellen, Parkplätze fallen weg, Verkehrswege ändern sich, Fahrbahnen werden zu Radspuren – wie sehr beeinträchtigt die Mobilitätswende Ihre Unternehmen, beispielsweise den Lieferverkehr?

Sehr. Wenn ich das Problem lösen dürfte, würde ich den Fremdverkehr aus der Stadt rauslassen – mit der Folge, dass die bestehende Infrastruktur funktioniert, der fließende Verkehr nicht still steht. Warum lernen wir nicht von Städten wie Florenz oder Venedig oder Roermond. Dort werden Gäste automatisch auf Flächen außerhalb „geparkt“ und mit dem Bus ins Zentrum gebracht. Alle, die in der Innenstadt wohnen oder arbeiten, können sich so ohne Stau oder lange Parkplatzsuche bewegen. Auf der Kö beispielsweise würde ich die Parkplätze zum Graben erhalten und gegenüber Lieferzonen für Taxen oder Lieferanten einrichten.

Haben Sie andere Gastro-Pläne?

Wir prüfen derzeit zwei Flächen in innerstädtischen Stadtteilen. Denkbar ist auch eine bundesweite Expansion. Doch nichts ist entschieden, alles ist in der Schwebe. •


Interview Dagmar Haa-Pilwat
Pictures PR