Kunst trifft Michael Becker

“We are the concert hall for everyone”

Als Intendant gibt Michael Becker der Tonhalle Düsseldorf seit 2007 ein bundesweit einzigartiges Profil. VIVID-Herausgeber Rainer Kunst sprach mit dem Musiker und Journalisten über Konzerthaus-Business in Pandemiezeiten, die Kunst des einfachen Kommunizierens und ein ziemlich treues internationales Publikum.

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Unsere letzte Verabredung mussten wir leider wegen Deiner Corona-Infektion verschieben. Wie erging es Dir damit und wie fühlst Du Dich heute?
Also ich lag mit dieser typischen Grippe im Bett. Und dann gab's den berühmten zehnten Tag, bei dem Corona ja bei vielen Leuten plötzlich mit einer Lungenentzündung durchbricht. Ich hatte insofern Glück, als ich immerhin noch eigenständig atmen konnte. Aber der Sauerstoffgehalt hat schon nicht mehr gereicht. Ich wurde dann medikamentös behandelt und fühlte mich daraufhin jeden Tag ein bisschen besser. Auf das Uniklinikum Düsseldorf und seine Beschäftigten lass ich da nichts kommen, die waren wirklich super. Danach hatte ich auch für eine ganze Weile diese typischen Nebenerscheinungen, diese extreme Müdigkeit und ich habe in relativ kurzer Zeit fünf Kilo verloren. Mittlerweile geht es mir wieder gut, ich kann mich wieder ganz normal konzentrieren und arbeiten.

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Wie kommt die Tonhalle durch die Pandemie? Und was macht das mit einem Orchester?
Wir haben einen ganz, ganz großen Vorteil für diese Situation, denn wir haben unser eigenes Orchester, die Düsseldorfer Symphoniker. Die sehr schnell gesagt haben: Wir wollen unbedingt wieder spielen. Und dann haben wir angefangen. Erst haben wir zum Teil einzelne Musiker aufgenommen und die dann übereinander geschnitten, damit einfach schon mal was produziert werden kann: „Peter und der Wolf“. Das ist ziemlich gut geworden. Dann haben wir in kleineren Besetzungen gespielt. Das ist möglich, wenn wir bestimmte Mindestabstände einhalten, die sich ein bisschen nach Instrumenten unterscheiden. Theoretisch kann man in Pandemie-Zeiten dann auch bis zu 50 Leute auf die Bühne setzen und eine größere Symphonie spielen – und das machen wir auch. Wir haben jedoch auch festgestellt, dass einfach nur Abfilmen relativ schnell uninteressant ist. Also haben wir das Ganze in eine digitale Sprache umgesetzt und nochmal ganz neue Formate entwickelt. Insofern würde ich sagen: Corona hat auch gezeigt, wie viel Kreativität in jeder einzelnen Person bei uns steckt.


„weil wir eben dieses eigene Orchester haben, können wir solche neuen Projekte auch schnell umsetzen.“

Dass Ihr besonders kreativ seid, zeigt auch Euer sehr breites Angebot: Mit „Tonhalle 0-100“ habt Ihr als erstes Konzerthaus Deutschlands ein Musikprogramm für jede Altersgruppe etabliert, vor allem für Kinder und Jugendliche. Warum ist das so wichtig in Deinen Augen?
Bei Kindern können wir das besonders gut sehen, weil die sich so unglaublich schnell entwickeln. Ein Vierjähriger hat also ganz andere Bedürfnisse als ein Fünfjähriger und erst recht als ein Achtjähriger. Auf unsere neuen zielgruppenspezifischen Formate haben wir einen wahnsinnigen Zulauf bekommen, offensichtlich hat solch ein Angebot also richtig gefehlt. Und weil wir eben dieses eigene Orchester haben, können wir solche neuen Projekte auch schnell umsetzen. Die Symphoniker haben selbst alle Kinder und sind mit entsprechend großer Freude dabei. Und wenn ich selbst keine Kinder hätte, hätte ich das wahrscheinlich auch gar nicht so wahrgenommen. Dadurch ist das sehr prägend.

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Als Intendant bist Du nicht im Hintergrund, sondern trittst auch gern als Moderator auf. Warum glaubst Du, dass die Kommunikation mit dem Publikum so wichtig ist?
Während meines Studiums dachte ich häufig: Warum reden die im Radio so „geschrieben“? Und warum schreiben die in den Zeitungen so geschwollen? Das ist doch alles immer nur der Versuch, sich abzuheben. Ich wollte dagegen in der Lage sein, so einfach zu kommunizieren wie nur irgend möglich. Vor allem meine Mutter ist für mich ein perfektes Beispiel dafür, dass es funktioniert, auch komplexere Dinge möglichst einfach zu vermitteln. Diese Haltung halte ich für wahnsinnig wichtig: Wir sind das Konzerthaus für alle und nehmen alle mit, auf Augenhöhe. 

Seit August 2018 bist Du auch Geschäftsführer der neugegründeten Tonhalle Düsseldorf gGmbH. Warum habt Ihr dieses Businessmodell gewählt? 
Das hat verschiedene gute Gründe. Einer ist zum Beispiel, dass sich unsere Personalstruktur nicht gut abbilden ließ über die amtstypischen Strukturen vorher, zum Beispiel mit Tarifverträgen. Ein anderer Grund ist, dass wir nun nicht mehr jede Stelle, die man in einem solchen künstlerischen Betrieb braucht, vorab durch ein Riesenrad von Genehmigungen durchlaufen lassen müssen. Und wir wollten einfach das Geld, was reinkommt, auch wieder ins Haus investieren können. Es macht mehr Spaß, wenn Du auf einmal eine viel breitere Sicht auf das ganze Finanzgeschäft hast und auch die Verantwortung dafür übernimmst. 

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Und dann lauft Ihr kurz nach Gründung dieser gGmbH in die Pandemie rein…
 
Die erste Saison 2018/2019 und auch der Beginn der zweiten Saison sind so gut gelaufen, dass wir so viele Rücklagen bilden konnten, um die ganzen Schäden durch Corona bisher aus eigener Kraft abzufedern. Das war ein großes Glück. Das liegt auch daran, dass die Tonhalle geliebt wird. Unser Publikum hat uns in der Pandemiezeit über 250.000 Euro gespendet, damit wir das Programm auch digital aufrechterhalten können. Das ist toll.

Wo holst Du eigentlich Deine Inspiration her für immer neue Programmideen?
Ich glaube, dass ganz viel von der Inspiration tatsächlich in Gesprächen mit Menschen kommt, die nicht zu nah dran sind an meiner Materie. Ich habe viele Freunde, die was ganz anderes machen und die ich dafür bewundere. Und die kommen eben auch mit verrückten Ideen, die ich auf Machbarkeit überprüfe. Ich glaube, unser Publikum spürt, dass wir vielleicht stärker als andere Konzerthäuser wie Verbraucher denken. Und natürlich kommt ganz viel Inspiration aus unserem Team hier. Jede und jeder einzelne davon ist eine Persönlichkeit, die auch mit Musik aufgewachsen ist und eine Haltung dazu hat.

Was gefällt Dir am Standort Düsseldorf besonders?
Da gibt es einige Punkte. Sicherlich diese Überschaubarkeit der Stadt bei gleichzeitig hoher Internationalität. Diese Internationalität bedeutet auch, dass viele Menschen hier eher ins Konzerthaus als ins Schauspielhaus gehen, weil sie einfach kein Deutsch sprechen und verstehen. Und ich mag, dass die Rheinländer sehr vergnügungssüchtig sind. Das heißt, wenn du irgendetwas Neues erfindest, gehen sie dort auch erstmal hin. Und wenn es dann gut war, hat es auch eine Chance. 

Welche großen Wünsche hast Du für die Zukunft?
Mein Vater hat mal gesagt: Ich würde mir wünschen, dass ich so lange lebe, dass ich noch sehen kann, was aus euch Kindern geworden ist. Ich denke, das ist auch für mich so ein Punkt, der mir ganz wichtig ist. Ich möchte gerne sehen, wie meine Kinder in ihrer Unterschiedlichkeit auch irgendwo angekommen sind. Musikalisch würde ich mir sehr wünschen, dass es einfach erstmal so weitergeht wie in den letzten fünf Jahren, wo so viele tolle Sachen hier entstanden sind. Wenn ich so richtig überlege: Eigentlich arbeite ich immer daran, dass ich keine Wünsche zu haben brauche. •

Tonhalle Düsseldorf
Ehrenhof 1, 40479 Düsseldorf
www.tonhalle.de


about Michael Becker

• Since 2007: Artistic Director of the Düsseldorf Symphony Orchestra and the Tonhalle (since 2018 also Managing Director of Tonhalle Düsseldorf gGmbH)
• 1994 to 2006: Director of the Niedersächsische Musiktage
• Musical experience: Studied viola with Jürgen Kussmaul in Düsseldorf, former member of the Cologne Chamber Orchestra, the Junge Deutsche Philharmonie, the European Community Youth Orchestra and the orchestra of the Städtische Bühnen Krefeld/Mönchengladbach
• Journalistic experience: Studied at the Institute for Journalism and Communication Research in Hanover, worked for newspapers such as the Hannoversche Allgemeine and radio stations such as MDR and NDR
• Comes from a family of musicians: Father was president of the Hanover Academy of Music, mother was a music teacher in primary schools; one of his two brothers is a pianist and professor at the Hanover Academy of Music. Michael Becker lives with his wife, the pianist Sara Koch, and their four children in Düsseldorf.


Interview Tom Corrinth
Pictures Frank Beer