"THE PROBLEM IS THE LACK OF IMPLEMENTATION OF TECHNOLOGIES"

GreenTech wird in Zukunft eine noch viel größere Rolle in Deutschland spielen. Wie es vor allem im Gebäudesektor aussieht und wie die Wärme- und die Energiewende gelingen können, darüber sprach VIVID mit Prof. Dr.-Ing. Mario Adam, dem Leiter des ZIES Zentrum für Innovative Energiesysteme an der Hochschule Düsseldorf.

GreenTech ist in aller Munde. Wie sind wir hierzulande speziell im Gebäudesektor auf Kurs?
Im Gebäudesektor sind wir, wie im Verkehrssektor auch, leider noch überhaupt nicht auf Kurs. Zum Vergleich: Im letzten Jahr lag der Anteil an verbrauchtem Strom, der mit Erneuerbaren Energien produziert wurde, bei rund 60 Prozent – im Bereich Wärme lag dieser Anteil bei unter 20 Prozent, beim Verkehr sogar unter 10 Prozent. In Bezug auf den Endenergieverbrauch hierzulande ist die Wärme aber dominierend mit rund 50 Prozent Anteil, dann kommt der Verkehr mit rund 30 Prozent und dann erst der Strom mit 20 Prozent. Das heißt: Von den 20 Prozent Strom decken wir schon 60 Prozent mit Erneuerbaren Energien – und bei der Wärme, die viel relevanter ist, sind es unter 20 Prozent! Wenn man Klimaschutz und die Energiewende ernst nimmt, dann muss die Wärmeversorgung endlich mitgedacht werden und auch der Verkehrsbereich.

Was sind die vielversprechendsten Technologien im Gebäudesektor, wenn wir uns zunächst das einzelne Gebäude anschauen?
Im einzelnen Gebäude ist es die Wärmepumpe, die verschiedene Wärmequellen nutzen kann. Am Markt dominierend ist im Moment die Wärmequelle Außenluft, aber es gibt auch Anlagen, die mit Wärme aus dem Erdreich arbeiten. Und aktuell immer beliebter werden die sogenannten PVT-Kollektoren, eine Kombination aus Photovoltaikmodul und thermischem Teil, der dann die Wärmepumpe mit Umweltwärme versorgt. Diese Technologie hat den Vorteil, dass sie im Vergleich mit Außenluft-Anlagen keine Geräusche macht und optisch nicht stört. Als weitere Technologie im Einzelgebäude sehe ich den Holzpelletkessel – allerdings nur eingeschränkt. Denn eigentlich ist Holz zu wertvoll, um ein Gebäude auf 20 Grad Celsius zu heizen. Holzpelletkessel bzw. Holz allgemein kann man nämlich auch sehr gut für hohe Temperaturen in gewerblichen oder industriellen Prozessen nutzen. Da haben zum Beispiel Wärmepumpen niedrige Wirkungsgrade. Idealerweise kombiniert man Holzpelletkessel mit Solarthermie, dann kann die Solaranlage im Sommer die Wärme komplett liefern und der Holzkessel kann ausgeschaltet bleiben.

Obwohl die Wärmeversorgung hierzulande rund die Hälfte des Endenergieverbrauchs ausmacht, wird derzeit nur etwa 20 Prozent davon mit Erneuerbaren Energien produziert. Hier gilt es - genau wie im Verkehrssektor - nachzubessern.


Und wie sieht es bei Technologien im Nah- und Fernwärmenetz aus?
Da kommen als Wärmeerzeuger auch große Wärmepumpen in Betracht, auch mit anderen Wärmequellen. Man kann zum Beispiel Flüsse und Seen anzapfen. Auch der Rhein eignet sich perfekt dafür. Da werden wir mit Sicherheit Anlagen entstehen sehen in naher Zukunft. Das Abwasser aus Kläranlagen kann man auch nutzen als Wärmequelle. Ebenso Rohwasser, das ist gefördertes Grundwasser, was dann zur Trinkwasserverteilung genutzt wird. Oder auch Abwärme aus Industrieprozessen oder Rechenzentren. Eine zweite vielversprechende Technologie sind große Solarthermieanlagen, teils mit saisonalen Wärmespeichern, die die Wärme vom Sommer in den Winter transferieren. Viele solcher Anlagen gibt es bereits in Dänemark und in Deutschland werden jetzt auch die ersten gebaut, mit riesigen Kollektorfeldern von mehreren 10.000 Quadratmetern Kollektorfläche. Und die dritte Technologie, die ich für wegweisend halte, ist die tiefe Geothermie. Dabei wird 1000 Meter und mehr tief gebohrt, um an dortiges heißes Wasser zu gelangen. In NRW werden nun erste Erkundungen durchgeführt und ich bin gespannt, wann die erste Anlage gebaut wird.

Auch Künstliche Intelligenz, etwa in Form von Machine Learning, spielt eine wachsende Rolle in der Energieversorgung. Wie sieht das konkret aus?
Machine Learning spielt in verschiedenen Bereichen eine Rolle. Zum einen bei der optimalen Auslegung von Anlagen. Früher hat man einen Kessel gebaut, der die Spitzenlast abgedeckt hat, oder eine Kraft-Wärme-Kopplung plus Spitzenlastkessel, also in der Regel maximal zwei Technologien. In der Zukunft wird das diverser sein, wir werden sehr viel häufiger einen Mix aus mehreren Technologien sehen. Dann stellt sich automatisch die Frage: Wie setzt man das sinnvoll zusammen? Anstatt wie früher einige Varianten durchzurechnen, kann man mit Machine Learning-Verfahren zehntausende Varianten sehr schnell miteinander vergleichen. Das bietet große Vorteile, um optimale Systemkonfigurationen zu finden. Und wenn die Anlage steht, muss sie auch geregelt werden. Auch hier können solche Machine-Learning- Verfahren und künstliche neuronale Netze oder andere Methoden aus dem Bereich der KI wertvolle Dienste leisten. So können wichtige Prognosen erstellt werden: Wieviel Strom habe ich am nächsten Tag aus erneuerbaren Energien, abhängig von der Wetterprognose? Wie entwickeln sich die Börsenpreise von Energieträgern? Wie entwickelt sich der Verbrauch an Strom und Wärme im jeweiligen Versorgungsgebiet? Das gestattet dann nicht nur eine eindimensionale Optimierung, etwa nach Kosten, sondern auch die Optimierung für mehrere ökonomische und ökologische Kriterien gleichzeitig.


Wenn man Klimaschutz und die Energiewende ernst nimmt, dann muss die Wärmeversorgung endlich mitgedacht werden und auch der Verkehrsbereich.

GLOSSARY OF TECHNOLOGIES:

Heat pump: Takes energy from a heat source at a low temperature and raises it to a desired higher temperature level (usually) using electricity, e.g. sufficiently high for space heating and hot water.
With outside air: outside air is used as a heat source and a fan conveys it via the heat conveyor of the heat pump. With geothermal heat: a pump conveys brine (a mixture of water and antifreeze) in a closed circuit through pipes laid in the ground, collecting heat from the ground and releasing it back to the heat pump.
With PVT collector: a PVT collector is a combination of a photovoltaic module for electricity production and a heat conveyor underneath to collect heat from the outside air, which, from the outside, is almost indistinguishable from a pure PV module. Here too, a pump moves brine in a closed circuit through the pipes of the heat conveyor under the PV module and then to the heat pump and back again.

Wood pellet boiler: Similar to an oil boiler, wood pellets are burned in a boiler, with wood pellets stored instead of oil. Various options are available for automatically feeding the pellets from the store to the boiler. Emptying the ash pan is usually only necessary once or twice a year in a detached house because the ash content of wood pellets is very low.

Solar thermal energy: The sun's rays are used to produce hot water, which is temporarily stored in a heat storage tank for later use. There are flat-plate and tube collectors. Both are well suited for space heating and domestic hot water. The heat storage tanks can bridge a few days without sunshine or store solar energy for the winter.

Deep geothermal energy:
Water-bearing rock layers are tapped at depths of several hundred to several thousand metres. The hot water is extracted from the subsurface via a production borehole and, once cooled, returned to the ground at a sufficiently large distance via a second borehole. It then flows back to the production well via fissures in the underground rock and can heat up in the process.


Was fehlt noch, damit ganze Stadtteile künftig vollständig energieautark oder klimaneutral betrieben werden?
Die Technologien sind doch im Grunde da! Das Problem ist die mangelnde Umsetzung der Technologien. Das fängt an bei der Aktivierung von privatem Kapital, was vielleicht unnötigerweise irgendwo auf niedrig verzinsten Konten liegt anstatt es in Erneuerbare Energien zu investieren. Auch eine andere Priorisierung beim Konsum würde helfen. Wenn wir uns ein teures Auto, eine Fernreise oder eine schicke Küche kaufen, fragen wir auch nicht danach, ob sich das amortisiert. Solches Geld könnte ebenso mehr für erneuerbare Energieträger ausgegeben werden. Dabei gibt es dann tatsächlich auch einen Geldrückfluss – und ein gutes Gefühl.

Zum Schluss: Was ist Ihre wichtigste Botschaft, damit die Energiewende kein Lippenbekenntnis bleibt?
Wir sollten zu 100 Prozent davon überzeugt sein, dass eine Energieversorgung auf Basis erneuerbarer Energien eine tolle Sache ist, die ein angenehmes Leben möglich macht. Es macht doch auch ein gutes Gefühl, wenn man nicht mehr abhängig ist von Ländern wie Russland oder Saudi-Arabien. Und langfristig ist es sowieso preiswerter. Konkret sollten verlässliche Rahmenbedingungen geschaffen werden wie ein klar vorgegebener Pfad der CO2-Bepreisung. Damit fossile Energie verteuert wird anstatt erneuerbare Energie zu subventionieren. Denn das hat immer den Touch, dass die erneuerbaren Energien sich nicht rentieren – und das ist faktisch in vielen Fällen nicht mehr so. Ganz wichtig ist auch, dass die Energiewende sozial ausgestaltet sein muss. Wir sollten die gesamte Gesellschaft mitnehmen und die Energiewende nicht nur denen möglich machen, die genug Geld haben, sich eine PV-Anlage oder ein Elektroauto aus eigenen Mitteln zu kaufen. •


ABOUT MARIO ADAM

Since 2017
endowed Professor for "Sustainable Energy Systems and Energy Efficiency" and Head of the ZIES Centre for Innovative Energy Systems at Düsseldorf University of Applied Sciences

1998 - 2016 Professor for the teaching and research area "Renewable Energy Systems" at Düsseldorf University of Applied Sciences, set up and led the research team "E² - Renewable Energies and Energy Efficiency"

1992 - 1998 Vaillant, Remscheid, senior employee and project manager. Responsible for new technologies in heating, ventilation and hot water technology in the central research unit, among other things

1988 - 1992 RWTH Aachen University, research assistant at the Chair of Technical Thermodynamics; working on innovative energy systems, thermodynamics and air pollution control

1981 - 1988
RWTH Aachen, studied mechanical engineering, specialising in thermal engineeringWärmetechnik


Text: Tom Corrinth
Pictures: Hochschule Düsseldorf

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