AI IN SKILLED TRADES
Künstliche Intelligenz verändert die Arbeitswelt. Auch das Handwerk: Immer mehr Betriebe nutzen KI-Anwendungen. Doch wie sieht das konkret aus in einem Berufsstand, der anders als die industrielle Massenproduktion von der Handarbeit geprägt ist? Expertinnen und Experten geben Einblicke, nennen Anwendungsbeispiele und sprechen über die Chancen und Herausforderungen, die KI für das Handwerk mit sich bringt.
Eine zentrale Anlaufstelle zum Thema künstliche Intelligenz in Nordrhein-Westfalen ist die Kompetenzplattform KI.NRW. „Egal, ob Großunternehmen oder kleiner Handwerksbetrieb: Wir sind der erste Ansprechpartner für alle Fragen zum Einsatz von KI in Unternehmen“, erklärt Dr. Christian Temath, Geschäftsführer von KI.NRW. Das Angebot reicht von KI-Sprechstunden über interaktive Workshops bis hin zur Vor-Ort-Beratung. „Wir haben vor rund drei Jahren mit dem sogenannten AI.Shadowing begonnen. Unsere KI-Expertinnen und -Experten gehen in die Betriebe, um die Einsatzmöglichkeiten von künstlicher Intelligenz zu identifizieren. Anschließend priorisieren wir diese und bereiten gemeinsam mit dem Unternehmen die Umsetzung des relevantesten Use Cases vor.“
Dr. Christian Temath, Geschäftsführer der Kompetenzplattform KI.NRW, will mit seinem Team dafür sorgen, dass NRW eine führende Rolle im KI-Wettbewerb einnimmt.
Ein Großteil der Handwerksbetriebe, die KI bereits einsetzten, nutzt sie, um administrative und organisatorische Prozesse zu optimieren, beispielsweise in der Auftragsabwicklung oder der Logistik. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Anwendungsfälle zu, bei denen die KI-Unterstützung darüber hinausgeht. Wie bei der Bildhauerei Diwo. Ein Schwerpunkt des Paderborner Unternehmens ist die Begutachtung von Denkmälern und Skulpturen. Wichtig ist dabei das Identifizieren von Haarrissen, die zur Instabilität der Objekte führen können. Anhand eines Hammerschlags erkennen erfahrene Bildhauer, ob der Stein intakt ist. Die Herausforderung: Die Bewertung ist subjektiv und das Verfahren erfordert über Jahre hinweg geschulte Augen und Ohren. Im Rahmen eines Projekts der KIDiHa, der „Künstlichen Intelligenz und Digital-Offensive für das HANDwerk in NRW“, hat das Fraunhofer-Institut IOSB-INA aus Lemgo mit der Bildhauerei eine KI-Lösung entwickelt, die beim Erkennen von Haarrissen unterstützt: Im Projekt „StoneCrackMon“ wird ein KI-Modell auf den Schall exemplarischer Hammerschläge trainiert und kann automatisiert zwischen intakten und beschädigten Steinen unterscheiden. Das Sensorsystem wird am Arm getragen und liefert präzise Daten, die auf dem Smartphone visualisiert werden können. „StoneCrackMon“ ist derzeit noch ein Forschungsprojekt, könnte aber schon bald in anderen Bildhauereien oder im Bauwesen eingesetzt werden.
Auch die Bielefelder Dachdeckerei und Zimmerei ZEP-Team nutzt KI. Um Gebäude zu vermessen, wird eine Drohne eingesetzt, die die Objekte umfliegt und ein Video erstellt. Eine KI-gestützte Software wertet die Aufnahmen aus und wandelt die Daten in ein 3D-CAD-Modell um. Für die Dachvermessung muss niemand mehr aufs Dach, das Verfahren erhöht die Arbeitssicherheit und spart Zeit. In Zukunft ist auch ein Abgleich mehrerer Aufnahmen in zeitlichen Abständen denkbar, um frühzeitig zu erkennen, wenn sich der Zustand des Dachs verändert. Für Dr. Christian Temath von KI.NRW bietet der KI-Einsatz im Handwerk noch einen weiteren Vorteil: „KI kann helfen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Und das ohne, dass diejenigen, die gerne handwerklich arbeiten, Angst haben müssen, bald ersetzt zu werden. Stattdessen übernimmt künstliche Intelligenz Routinearbeiten, die im Hintergrund laufen, etwa in der Betriebsverwaltung. Und: Digitale Werkzeuge können Ausbildungsberufe attraktiver machen. Zum Beispiel, wenn ich auf der Baustelle per Smartphone Vermessungen vornehmen oder Arbeits-ergebnisse per Foto direkt auf eine betriebsinterne digitale Plattform hochladen kann.“
Eine, die dafür sorgen will, dass in Zukunft noch mehr Unternehmen von KI profitieren, ist Valentina Kerst. Sie ist Senior Partnerin des KI-Bundesverbandes, der sich der Förderung und Entwicklung von KI in Deutschland widmet. „Wir vertreten die Interessen von rund 475 Mitgliedern, meist Startups, die KI entwickeln und sie dem Markt zugänglich machen, gegenüber der Politik, der Öffentlichkeit und anderen relevanten Akteuren. Und wir schaffen ein Netzwerk für die KI-Branche, um den Austausch von Wissen, Erfahrungen und Innovationen zu fördern.“ Die meiste Zeit ihrer Arbeit verbringt Kerst im AI Village: Auf dem Innovationscampus für Künstliche Intelligenz und Robotik in Hürth können Unternehmen KI in der Praxis erleben, lernen, sie effektiv einzusetzen, und sich mit Partnern vernetzen, die ihr eigenes KI-Projekt von der Idee bis zur Umsetzung begleiten.
„Wir schaffen ein Netzwerk für die KI Branche, um den Austausch von Wissen, Erfahrungen und Innovationen zu fördern“
Valentina Kerst ist Senior Partnerin des KI-Bundesverbandes, der die Interessen seiner rund 475 Mitglieder, meist KI-Startups, vertritt, und sie mit Unternehmen zusammenbringt.
Immer häufiger kommen auch Handwerksbetriebe nach Hürth: „Vom betriebsinternen Google, mit dem Mitarbeitende auf alle relevanten Dokumente zugreifen können, bis zum Armband der Bäckereifachverkäuferin, das automatisch erkennt, welches Brot gerade aus dem Regal genommen wurde, ist vieles möglich“, erklärt Kerst. Für die meisten sei aber entscheidend, erst einmal herauszufinden, wie sie künstliche Intelligenz in ihrem Unternehmen sinnvoll nutzen können: „Durch ChatGPT ist KI quasi über Nacht im gesellschaftlichen Bewusstsein angekommen. Da ist es nur logisch, dass viele Unternehmen jetzt sagen: Wir würden KI auch gerne nutzen. Aber das Thema erklärt sich nicht von selbst. Im AI Village geben wir Antworten, vor allem auf die zentrale Frage: Wie steigert der Einsatz von KI die unternehmerische Wertschöpfung?“
Entstehen im Austausch zwischen Unternehmen und Anbietern Ideen, wie künstliche Intelligenz bei der Bewältigung bestimmter Herausforderungen im Arbeitsalltag helfen kann, können nächste Schritte angegangen werden. Zusammen mit dem Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes NRW unterstützt das AI Village die digitale Transformation im Rheinischen Revier mit dem Förderangebot „Digitale Zukunft KI“ in Höhe von zehn Millionen Euro. Aber auch ohne Förderung sollten sich Unternehmen nicht davor scheuen, mit kleinen Projekten zu beginnen: „Kommt ins AI Village, informiert euch, was mit KI möglich und sinnvoll ist, fangt klein an, schaut, was daraus wird, und geht dann die nächsten Schritte“, lautet der Appell von Valentina Kerst. •
Text: Dominik Deden
Pictures: Pexels/ Tara Winstead, KI.NRW, privat