READY FOR TRANSFORMATION

Wie wettbewerbsfähig Deutschland in Zukunft sein wird, bemisst sich auch danach, wie es dem Handwerk geht – einem Wirtschaftszweig, der sich auch in schwierigen Zeiten darauf versteht, praktische Lösungen zu finden. 

Filigrane Handarbeit gefragt: Geigenbauer/in ist einer von 130 Ausbildungsberufen im Handwerk. 

Die Suche nach Fach- und Arbeitskräften treibt die Unternehmen um: Laut einer Umfrage des Bundesverbands der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) befürchten 62 Prozent der mittelständischen Betriebe, dass sie 2025 freie Ausbildungsplätze nicht besetzen können. 

Insbesondere die Lage im Handwerk – einem wesentlichen Teil des deutschen Mittelstands – gibt ihnen recht: Hier blieben laut der aktuellen Ausbildungsbilanz des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) im vergangenen Jahr 19.000 Stellen unbesetzt. Gleichzeitig stieg aber auch die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber, die keinen Ausbildungsplatz fanden. Damit Ausbildungsbetriebe und junge Menschen sinnvoll zueinander finden, appelliert Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), vor allem an die zukünftige Bundesregierung und benennt dabei gleich ein paar Missstände: Die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung müsse gesetzlich verankert werden. Berufsorientierung müsse fester Bestandteil der Lehrpläne aller allgemeinbildenden Schulen werden. Zudem seien die Förderung von Azubi-Tickets und der Ausbau von Azubiwohnangeboten in allen Bundesländern dringend notwendig, um räumliche Hürden bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen zu überwinden. 

Ein Blick auf Nordrhein-Westfalen: Hier blieb die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge im Handwerk mit 28.000 trotz schwacher Konjunktur im Jahr 2024 im Vorjahresvergleich nahezu konstant. „Das ist ein gutes Signal und zeigt: Das Handwerk investiert weiter in den Fachkräftenachwuchs“, sagt Prof. Dr. Hans Jörg Hennecke, Hauptgeschäftsführer von Handwerk NRW, der Dachorganisation des nordrhein-westfälischen Handwerks. Der Verband vertritt die Interessen von rund 200.000 Betrieben mit 1,1 Millionen Beschäftigten. Trotz konstanter Zahlen bei den Ausbildungsverträgen blieben aber auch in NRW viele Stellen unbesetzt. Hoffnung macht da etwa die Lage in den Klimaberufen, zum Beispiel beim Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. Hier seien, so Hennecke, in den letzten Jahren deutlich mehr Ausbildungsverträge neu abgeschlossen worden. „In allen Handwerksberufen, die an den großen Transformationsaufgaben von der Energiewende über die Wärmewende bis zur Mobilitätswende arbeiten, sind die Karrierechancen riesig. Das sehen auch junge Menschen.“ 

Ein großes Thema, das auch das Handwerk umtreibt, sind die Veränderungen infolge Künstlicher Intelligenz (KI). Das Handwerksblatt ist optimistisch: „Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels kann KI zu einem entscheidenden Faktor für den Erhalt der eigenen Wettbewerbsfähigkeit werden – denn durch KI-Unterstützung haben Mitarbeiter in Zukunft wieder mehr Zeit fürs Kerngeschäft“, schreibt die Zeitung im März 2024. Durch KI lassen sich Routineaufgaben wie Buchhaltung, Bestellvorgänge oder die Terminplanung automatisieren. 


EM DER BERUFE 

Bei den EuroSkills-Wettbewerben kommen alle zwei Jahre junge Fachkräfte aus Europa zusammen, um ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. 2027 findet die Meisterschaft der Berufe in Düsseldorf statt: Bis zu 150.000 Besucher:innen und 800 junge Spitzenfachkräfte aus 50 Berufsfeldern werden in der Landeshauptstadt erwartet. Austragungsort ist die Messe Düsseldorf. Der Wettbewerb dient gerade in Zeiten des Fachkräftemangels dazu, junge Menschen über die Vielfalt der Berufe zu informieren und sie für eine Ausbildung zu begeistern. Erstmals werden die EuroSkills von zwei Nationen veranstaltet: Neben Deutschland wird auch Luxemburg den Wettbewerb ausrichten. Bereits im Vorfeld sind gemeinsame Projekte und Initiativen in Nordrhein-Westfalen und Luxemburg geplant, die den grenzübergreifenden Austausch unter der europäischen Jugend fördern sollen. www.worldskillsgermany.com 


Prof. Dr. Hans Jörg Hennecke von Handwerk NRW hat ein paar Beispiele parat: So gingen viele Monteure längst nicht mehr mit dem Auftragszettel zum Kunden, sondern mit dem Tablet. Einige Betriebe seien auch schon deutlich weiter: „Ein Dachdecker aus Korschenbroich hat einen Sensor entwickelt, der eine dauerhafte Schadensüberwachung der Gebäudehülle ermöglicht. Und es gibt Bäckereien, die KI einsetzen, um datenbasiert die optimale Produktionsmenge an Brot und Brötchen für den nächsten Tag zu errechnen.“ 

Durch KI mehr Zeit fürs Kerngeschäft? Für Schreiner und andere Handwerks-berufe wäre das womöglich eine wünschenswerte Entwicklung. 

Ideen wie diese zeigen, wie sich das Handwerk weiterentwickeln und neuen Bedingungen anpassen kann. Das betrifft auch die Berufsbilder: So startete 2021 der neue Ausbildungsberuf des Elektronikers für Gebäudesystemintegration – eine Reaktion darauf, dass die Technik in unseren Gebäuden vernetzter und „smarter“ wird. 

In Zeiten, in denen die Technologisierung so stark voranschreitet, bekommt die berufliche Bildung einen umso höheren Stellenwert. Zum Beispiel der Wissenstransfer aus der Hochschullandschaft hinein in die Betriebe: „Da spielen auch die Handwerkskammern mit ihren Beauftragten für Innovation und Technologie eine wichtige Rolle als Berater und Multiplikatoren“, sagt Prof. Hans Jörg Hennecke 


Dr. Hans Jörg Hennecke, Chief Executive, Handwerk NRW 

Und die bestehenden Handwerksberufe? Sind sie aufgrund der Digitalisierung nicht gefährdet? „Ich habe da keine großen Sorgen“, so Hennecke weiter. „Aufgrund des hohen Individualisierungsgrades wird das Handwerk in der Breite auch in Zukunft nicht durch Digitalisierung oder Automatisierung zu ersetzen sein. Handwerkliche Leistungen sind fast immer auf den Kunden oder die konkrete Baustelle zugeschnitten. Ich glaube nicht, dass eine KI in den nächsten Jahren Haare schneiden, ein Dach decken oder ein Auto reparieren kann.“ Andere Handwerksberufe wie Maßschneider, die unmittelbar mit industriellen Produkten konkurrieren, hätten es da jedoch schwerer. • 


Text: Elena Winter
Pictures: Sascha Schneider, Sascha Schneider, Handwerk NRW 

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