Natur im Raum

Pflanzenwände im Büro, Teppiche mit Moosstruktur und Rückzugsräume, die an Höhlen erinnern: Biophilic Design verbindet Menschen im urbanen Raum mit der Natur. Und schafft so nicht nur einen hohen Wohlfühlfaktor, sondern fördert auch die Produktivität und Kreativität am Arbeitsplatz.

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Wir verbringen immer mehr Zeit in geschlossenen Räumen und Städten. Umgeben von Technologie. Aktuelle Zahlen machen es drastisch deutlich: Bis zu 93 % des Tages verbringt ein durchschnittlicher Angestellter in Industrienationen drinnen, bis zu elf Stunden an technischen Geräten. Und bis zum Jahr 2050, so die Prognose der Vereinten Nationen, werden 66 % der Weltbevölkerung in einem urbanen Umfeld leben und arbeiten. Wir Menschen entfernen uns immer mehr von der Natur. Das Ergebnis: Stress und die starke Zunahme chronischer Krankheiten. Architekten und Designer finden daher Wege, um den Kontakt mit der Natur zu intensivieren – und von ihr zu profitieren, indem sie bewusst Vegetation in allen Formen in den Innenraum integrieren. Biophilic Design nennt sich das Gestaltungsprinzip, das besonders positive Auswirkungen auf Arbeitsräume haben soll. Das Wort Biophilie stammt aus dem Jahr 1964 von dem Sozialpsychologen Erich Fromm und umschreibt die „Liebe zum Leben und allem Lebendigen“.

Ziel des gleichnamigen gestalterischen Konzepts ist es, unsere Verbundenheit zur Natur im Wohn- und Arbeitsumfeld zu stärken und Erholung zu fördern. Die positiven Effekte von natürlichen Elementen in urbanen Räumen haben mehrere Studien nachgewiesen. „Biophilic Design steigert nicht nur unser Wohlbefinden, sondern hat außerdem ökonomische Vorteile für Unternehmen“, betont Designer Oliver Heath, Experte für nachhaltige Architektur. Büroangestellte, deren Arbeitsumgebungen mit natürlichen Elementen ausgestattet sind oder sogar eine direkte Verbindung zur Natur haben, fühlen sich demnach produktiver, kreativer und einfach wohler. In Büros könne Stress reduziert werden. Zufriedenheit und Kreativität wachsen, die Mitarbeiterbindung werde gestärkt, und Fehlzeiten verringern sich.

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Besonders intensiv mit Biophilic Design beschäftigt sich Interface. Das US-Unternehmen mit Deutschlandsitz auf dem Mies-van-der-Rohe-Campus in Krefeld ist einer der weltweit führenden Hersteller textiler, modularer Bodenbeläge mit Kunden wie BASF, Philips und der Düsseldorfer Ad Alliance. Interface imitiert in seinen Teppichmodulen natürliche und organische Strukturen und Texturen wie Stein, Moos oder die Meeresoberfläche und hat zahlreiche Leitfäden zu dem Gestaltungskonzept veröffentlicht. Denn zu Biophilic Design gehört weitaus mehr, als ein oder zwei Topfpflanzen ins Büro zu stellen. Natürliches Licht, Vegetation, lebende Wände, organische 
Materialien sowie der Blick nach draußen – all diese Faktoren sollen die Arbeitsatmosphäre nachhaltig verbessern. Durch lichtdurchflutete Gebäude und Arbeitsbereiche mit großzügigem Blick auf Bäume, Berge, Wasser oder einfach nur den Himmel wird in vielen Neubauten eine visuelle Verbindung zur Natur geschaffen. Nicht jedes Office kann nach allen Prinzipien des Biophilic Designs gestaltet werden, doch es gibt Elemente, die alle Innenräume aufwerten können. Pflanzen, Blumen und begrünte Wände beispielsweise sorgen im Büro nicht nur für ein lebendiges Arbeitsklima, sondern tragen auch deutlich zur Verbesserung der Luftqualität bei. Und lassen Ideen förmlich wachsen. Das niederländische Kinderwagen-Start-up Joolz etwa hat in seinem Amsterdamer Headquarter ganze Gewächshäuser einbauen lassen, in denen Mitarbeiter Meetings abhalten oder einfach nur ausspannen können.

Eine simple Dekoration aus Stein oder Holz kann ebenso zum Wohlgefühl beitragen wie der Einsatz von natürlichen Materialien bei Möbeln, Böden und Wänden. Der Coworking Space von WeWork in Pekings Ciyunsi-Komplex schafft durch seinen modernen Zen-Stil eine Pause vom Trubel der Stadt. Mit gemütlichen, beruhigenden und erdverbundenen Materialien wie Holz, Kork und Kieselsteinen sowie weichen Möbeln, Ledersofas und Wolldecken, unterscheidet sich dieses Büro sehr von anderen Arbeitsplätzen in Peking. Bestenfalls schaffen Materialien mit einem geologischen oder ortsbezogenen Ursprung eine Verbindung zur eigenen Marke, wie bei Teekanne in Heerdt. Der textile grüne „Teeberg“ in den Marketing-Räumen dient als Herzstück und Kommunikationsinsel, ist mit flexiblen Tischelementen auch als temporärer Arbeitsplatz nutzbar und erinnert dabei an eine Teeplantage. Die nachhaltige Outdoorbekleidungs-Marke Patagonia hat ihr Headquarter in Amsterdam mit recyceltem Holz ausgestattet, das eine warme Atmosphäre schafft – und mehr. Alberto Zanini, Visual Merchandising und Design Manager Europe, erklärt: „Als Hersteller von Outdoorbekleidung sind wir eng mit der freien Natur und mit dem Wald verbunden. Mit diesem Element fühlen wir uns wirklich wohl. Es steht für das, was wir tun und was wir lieben.“

Biophilic Design steigert nicht nur unser Wohlbefinden, sondern hat außerdem ökonomische Vorteile für Unternehmen.
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Die Idee hinter Biophilic Design ist nicht neu. Von asiatischen Zimmerbrunnen und Bonsais bis hin zu den bewässerten Gartenanlagen europäischer Paläste – Menschen haben Raum und Natur schon vor Jahrhunderten vereint. Innovativ sind aber die natürlichen Analogien des Biophilic Design. Etwa die sensorische Verbindung mit Natur durch Geräusche, Gerüche und Berührungen. Das kann im Inneren ein zart nach frischem Wald riechender Raumduft sein, eine regelmäßige Luftbrise oder die Baumrinden nachempfundene Struktur einer Tapete. Aber auch unregelmäßige Reize im Außenbereich – durch sich wiegendes Gras, fließendes Wasser und das Summen vorüberfliegender Insekten. Eine maßgebliche Rolle bei Biophilic Design spielt auch die Struktur der Büroräume. Bei der Ästhetik verschiedener Workspaces orientieren sich Architekten an Höhlenformationen, Vogel- und Insektennestern – je nach Interaktionsgrad der Mitarbeiter und Geschwindigkeit der jeweiligen Arbeitsabläufe. Materialien, Farben und Pflanzen werden kreativ miteinander kombiniert. So entsteht Vielfalt und eine unterschiedliche Intensität verschiedener Work-Zonen: bestenfalls eine Mischung aus abgeschirmten Bereichen, Arbeitsnischen und Rückzugsräumen und offenen, kommunikativen Flächen. Denn letztlich zielt Biophilic Design nicht nur auf die Verknüpfung von Mensch und Natur ab, sondern auch auf die Verbindung mit dem sozialen Umfeld. Es soll das Bewusstsein für Beziehungen und die Verantwortung für menschliche Gemeinschaften vertiefen. •


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Autor: Karolina Landowski 


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VIVID 04 | 2019

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