Looking Back Ahead

 

Mario Keine wusste schon früh, wo seine Reise hingehen sollte. Im zarten Alter von 13 Jahren beschloss er, Modedesigner zu werden. Auf dem Schulhof des Gymnasiums im sauerländischen Attendorn zog er mit silbern beschichteten Jeanshosen oder strengen Sakkos mit Schlips und Kragen alle Blicke auf sich. Heute, mit 30, haben sich Mario Keines Kindheitsträume erfüllt. Seine erste Modekollektion ist auf dem Markt, er präsentierte sie im Rahmen der Press Days des Fashion Council Germany in Berlin. Sein Label heißt MARKE, ein Akronym seiner Anfangsbuchstaben, und bereits mit seinem ersten lancierten Produkt, einer Gliederkette, die er als künstlerischen Beitrag zur Genderdebatte beim ersten strike a pose Festival in Düsseldorf zeigte, konnte er in Kooperation mit dem Künstler Manuel Graf einen der beiden Preise der Veranstaltung gewinnen. Im Gespräch verrät der ehemalige Student des Düsseldorfer Design Departments wie er sich für die Herausforderungen des Modemarktes gewappnet hat und warum die Reisen seiner Kindheit in seiner ersten Kollektion eine Schlüsselrolle spielen.

 

Mario, du hast dein Label 2021 gegründet, mitten in der Corona-Pandemie. Das offenbart eine gewisse Risikobereitschaft. Gibt es einen Grund, warum du dich gerade zu diesem Zeitpunkt für den Schritt in die Selbstständigkeit entschieden hast?

Die konzeptionelle Entwicklung hat bereits im Dezember 2019 stattgefunden. Ich habe damals als Designer und Art Director in der Kölner Design-Agentur Bel Epok gearbeitet. Als dann die Pandemie kam, eröffnete sich mir auch zeitlich die Möglichkeit, verstärkt an meiner eigenen Markenidee zu arbeiten. Ich habe damals versucht, der Pandemie positive Aspekte abzugewinnen. Ich konnte mich fokussieren, der digitale Vertrieb florierte. Und Pandemie oder nicht: Den perfekten Zeitpunkt gibt es in meinen Augen nicht. Man muss das Wagnis einfach eingehen.

Du wusstest schon als Kind, dass du Modedesigner werden möchtest. Kannst du dich an deinen ersten Modemoment erinnern?

Ich habe bereits im Kindergarten Frauen immer mit ausladenden Krinolinen und mit geschnürten Trachtenmiedern gezeichnet. Wenn bei uns im Dorf Schützenumzug war, wollte ich immer unbedingt die Schützenkönigin in ihrem Polyestertraum sehen. Ganz bewusst wurde mir meine Modeaffinität mit 13. Im April 2005 hatte ich mir meine erste Vogue gekauft. Wenig später stieß ich im Internet auf die Entwürfe von John Galliano zum 100. Geburtstag von Dior, die mich ebenfalls nachhaltig beeindruckten. Kurz darauf bestellte ich mir ein Buch über Modezeichnungen und begann zu üben.

Was fasziniert dich an der Mode?

In der Theorie: Die Möglichkeit des persönlichen Ausdrucks. Und in der Praxis: die handwerklichen Aspekte, die Verarbeitungsdetails, die am Ende über die Qualität entscheiden.

Welche Eigenschaften, Stärken und Tugenden sind unabdingbar, um als junges Modelabel bestehen zu können?

Gesunder Optimismus, Durchhaltevermögen und Geduld. Ich reflektiere jeden meiner Schritte sehr genau und nehme mir ausreichend Zeit für meine Neuentwicklungen. Ansonsten glaube ich, dass ein junges Label einen nachhaltigen Ansatz braucht, um in der gegenwärtigen Situation eine Daseinsberechtigung zu haben. In der Satzung einer jeden Marke, die neu auf den Markt kommt, sollte ein solcher Ansatz verankert sein.

Die Modebranche wird dominiert von vertikalen global players. Wie empfi ndest du deine Position in solch einem Szenario?

Darüber denke ich inzwischen nicht mehr nach. Mich mit anderen zu vergleichen, in welcher Form auch immer, führt mich weg von meinem eigenen Produkt. Wie wir alle, die wir in den sozialen Medien unterwegs sind, wissen, ist der ständige Vergleich mit anderen nicht zielführend und macht auch eher unglücklich. Daher arbeite ich ständig an meinem Alleinstellungsmerkmal.

Deine aktuelle Herbst-/Winterkollektion zitiert Kindheitserinnerungen. Alpine und maritime Elemente erzählen von den Urlaubserlebnissen deiner Kindertage. Was hat dich bewogen, dich auf diese frühen Einfl üsse zu besinnen?

Nach der eher fremdbestimmten Arbeit für viele unterschiedliche Kunden wollte ich meine eigene Handschrift wiederfinden. Dabei half mir der emotionale Zugang zu einer Geschichte: meiner eigenen Biografie. Genauer: den Reisen meiner Kindheit, die mich mit meiner Familie immer wieder nach Österreich, aber auch ans Mittelmeer geführt haben.

Du machst eine reine Herrenkollektion, in der jedoch auch weiblich konnotierte Elemente wie Transparenz und üppiger Schmuck vorkommen. Sprichst du auch eine weibliche oder auch non-binäre Klientel an?

Ja, unbedingt. Zwar basieren meine Schnittkonstruktionen auf einer männlichen Figur, sie funktionieren aber auch unisex sehr gut. Tatsächlich verkaufe ich momentan mehr an Frauen als an Männer.

Gender Fluidity ist ja ein Thema, das viele gesellschaftliche Bereiche berührt, sich aber insbesondere in der Mode manifestiert.

Es ist ein sehr sensibles Thema, das momentan viel Sichtbarkeit erhält. Das finde ich wichtig und richtig. Man darf nicht nachlassen, die Belange der LGBTQ+ Community öffentlich zu machen. Erst wenn die Thematik bis in die letzten Winkel des Landes vorgedrungen ist, kann schlussendlich Normalität daraus erwachsen.

Deine Kollektionen beschränken sich nicht nur auf Textilien, du entwickelst auch Schmuck und Accessoires. 2021 hast du bei der ersten Edition des strike a pose Festivals einen Preis gewonnen. Deine Penis-Glieder- Kette, ausgestellt in der Düsseldorfer Galerie Van Horn, die mit einer phallischen Skulptur von Manuel Graf korrespondierte, erregte Aufsehen. Ging es dir und Manuel um Provokation? Gar um die Dekonstruktion des Patriarchats?

Es ging um eine Form des Empowerments, aber natürlich hängt die Aussage dieser Kette auch immer davon ab, wer sie trägt. Ist es ein chauvinistischer Rapper oder eine feministische Frau? Man konnte die Penisglieder auseinandernehmen, also dekonstruieren, oder man konnte sich die Phallusse aneignen, in dem man sie sich die Kette um den Hals legte. Du siehst, dieses Stück ist vielseitig lesbar.

Inspiriert von seinen Reisen ans Mittelmeer: Die erste Kollektion des Designers Mario Keine.

Du hast am Düsseldorfer Design Department bei Gabriele Orsech studiert. Welche Rolle spielte der Standort Düsseldorf in deinem Studium?

Obwohl ich auch in der Akademie der Schönen Künste in Antwerpen und am London College of Fashion einen Studienplatz bekommen hatte, habe ich mich bewusst für das Design Department in Düsseldorf entschieden. Die damalige Leiterin Gabriele Orsech vermittelte mir einfach das beste Gefühl – ich war mir sicher, dass ich bei ihr am meisten würde lernen können.

Aktuell lebst und arbeitest du in Köln. Was bedeutet dirder Standort Nordrhein-Westfalen?

Ich habe das Gefühl, hier bestens aufgehoben zu sein. Du bist in wenigen Stunden in Paris und fast ebenso schnell in Berlin, den beiden Städten, in denen ich die Sichtbarkeit meiner Marke erhöhen will. Gleichzeitig bin ich schnell bei meiner Familie im Sauerland – ich habe einen einjährigen Neffen, von dem ich möglichst viel mitbekommen möchte. Insbesondere Düsseldorf erlebt gerade einen Aufschwung. Spannende Initiativen wie das strike a pose Festival, das Live Lab Studio oder die Ando Future Studios beleben die Stadt. Es gibt ein schönes Miteinander, ein Netzwerk, das gut funktioniert. Das schätze ich sehr. •


Interview: Ilona Marx
Pictures PR, Mara Rudnick, Michael Mann, Studio Nectar