New Conciousness

 

Nachhaltigkeit und Avantgarde verflechtet die Designerin Angelika Kammann zu ihrer unabhängigen Fashionbrand Société Angelique. In ihren konzeptionellen Kreationen stecken viel Handwerk, Erfahrung und die unerschütterliche Vision, ein neues Bewusstsein für Mode zu schaffen. VIVID sprach mit der umtriebigen Kreativen, die vom Mönchengladbacher Atelier aus eine ganze Branche verändern will.

 

Individualität und Nachhaltigkeit verbindet Angelika Kammann mit viel Volumen und Handwerklichkeit zu ihrer Kollektion Société Angelique.

Ein Leben für die Mode: Bereits in der Schule hat Angelika Kammann begonnen, ihre eigenen Outfits zu nähen. Nach einer Schneiderlehre in Krefeld und dem Modestudium an der renommierten ESMOD in Paris, folgten Stationen als Designerin für große Modemarken wie Strenesse, Escada, Iris von Arnim und Martin&Osa. Kammann pendelte zwischen Deutschland und der Welt, lebte und arbeitete in Paris, Mailand und New York, reiste wochenlang alleine durch China. Saugte überall Inspirationen auf. Sie bezeichnet sich selbst als rastlose Vagabundin, stets getrieben von der Suche nach Perfektion, dem richtigen Volumen und Shape. Während ihrer Zeit in New York gründete sie gemeinsam mit einer befreundeten Designerin das Stricklabel The German Fräuleins. Dann folgte wieder der Schritt zurück nach Europa, wo sie für Wunderkind eng mit Wolfgang Joop arbeitete. Es war der Beginn einer kreativen Seelenverwandschaft, von der sie bis heute schwärmt. Joops unkonventionelle Ideen inspirierten sie schließlich, der Industrie endgültig den Rücken zu kehren und sich selbstständig zu machen. 2020 gründete Kammann die Brand Société Angelique.

Mit Société Angelique möchtest du nicht weniger, als die Modebranche verändern. Was stört dich konkret?

Die Modebranche ist in Strukturen verhaftet, die neu gedacht werden müssen. Sie bewegt sich sehr schwerfällig und lässt somit keine ehrliche Form von Nachhaltigkeit zu. Ich will Strukturen aufbrechen, Fashion kreativer denken und absolute Transparenz schaffen. Insbesondere in den großen Konzernen bestimmt der Kommerz den Schnitt. Jede Ursprungsidee eines Entwurfs wird so lange verändert, bis ein Verkaufserfolg generiert ist. Das hat mich zunehmend frustriert, weil ich daran glaube, dass Mode mehr können muss, als einfach nur Marketingstrategien zu folgen.

Mode ist für mich ein Ausdruck der Persönlichkeit. An einem Tag sinnlich und feminin zu wirken, am nächsten Tag maskulin und androgyn.

Welchen Stellenwert sollte Mode haben?

Mode ist für mich ein Ausdruck der Persönlichkeit. Ich möchte meinen Kundinnen und Kunden die Möglichkeit geben, ihre Individualität zu unterstreichen und dabei auch von der Norm abzuweichen. An einem Tag sinnlich und feminin zu wirken, am nächsten Tag maskulin und androgyn. Diesen individuellen Ausdruck setze ich mit Société Angelique um, benannt nach einer philosophischen Zusammenkunft von Humanisten im 16. Jahrhundert. Inspiriert davon, möchte auch ich eine Gesellschaft von Gleichgesinnten gründen, die gemeinsam ein neues Bewusstsein schaffen und die Modebranche zu einer besseren Welt machen wollen.

Inwiefern kann Mode denn wirklich nachhaltig sein?

Durch den Aufbau von kleineren Kollektionen, die das Überangebot im Markt reduzieren. Durch langlebige Materialien, die ökologisch abbaubar sind. Und durch ein anspruchsvolles Design. Der Kunde soll weniger kaufen, dafür langlebige Lieblingsstücke. Also Kleidung, die sich auszeichnet durch eine hohe Qualität, ehrliche Handwerksarbeit und Transparenz. Etwa mittels Mikrochips oder QR-Codes, die in die fertigen Teile gedruckt oder eingenäht werden. So kann der Kunde genau nachvollziehen, woher die Qualitäten stammen und von wem sie verarbeitet wurden. Chancengleichheit und Diversität sind eine wichtige Basis für mein Unternehmen. Ich arbeite mit Produzenten in Deutschland und dem europäischen Ausland, die ich seit langer Zeit kenne und schätze. Ich weiß, dass sie ethisch arbeiten und ihre Angestellten fair behandeln.

Fließende Stoffe und Blumenprints treffen bei Société Angelique auf androgyne Schnitte.

Welchen nachhaltigen Ansatz verfolgst du in der Produktion?

Im Vordergrund steht ein ganzheitliches Überdenken der Nutzung von Rohstoffen und die nachhaltigere Gestaltung der gesamte Wertschöpfungskette. Mir ist ein gewissenhafter Umgang mit Ressourcen sehr wichtig, etwa die genaue Kalkulation von Produktionsquantitäten, um vorliegende Stoffmengen oder andere Zutaten absolut effizient zu verwerten. Ich benutze vor allem naturhaltige Materialien wie Wolle, Hornknöpfe, RSC zertifizierte Viskose und Leinen. Label- oder Waschetiketten werden bewusst aus Baumwolle gefertigt. Ich versuche, Polyester zu vermeiden und in der Produktion keine Überhänge zu produzieren. Reste, die beim Zuschnitt anfallen, werden gesammelt und zukünftig in Kooperation mit dem Start-Up Brain of Materials zu neuen Materialien zu verarbeitet.

In den großen Konzernen bestimmt der Kommerz den Schnitt. Jede Ursprungsidee wird so lange verändert bis ein Verkaufserfolg generiert ist.

Deine Kollektion ist sehr konzeptionell. Wie gehst du bei der Entwicklung vor?

Die einzelnen Kollektionen bauen immer aufeinander auf. Auch das ist nachhaltig. Der Core der vorangegangenen Kollektion ist die Basis für die Neuentwicklungen der nächsten. Auch intellektuell bauen sie aufeinander auf. Mich inspiriert dabei die Kunst. Eine Ausstellung von Louise Bourgois etwa, die Werke von Salvador Dali oder Donald Judds Auseinandersetzung mit Räumlichkeiten. Volumenfindung ist für meine Kollektion ausschlaggebend.

Nutzt du digitale Techniken für deine Arbeit?

Zum nachhaltigen Aspekt gehört auch, möglichst viele Arbeitsschritte digital zu erledigen, etwa den Schnitt mit über das digitale CLO System. Für meine Drucke arbeite ich mit dem Künstler und Grafi ker Marcel Lunkwitz zusammen. Bei der letzten Kollektion haben wir erstmals Prints von einer KI generieren lassen. Das war faszinierend und ein wunderbares Tool, das wir in der Zukunft ausweiten möchten.

Heute ist der Endkunde oft mutiger als der Einzelhandel.Ich wünschte mir hier
mehr Risiko beim Einkauf.

Was sind, abgesehen von der Nachhaltigkeit,die größten Herausforderungen der Modebranche?

Das Spiel mit Silhouetten gehört zum kreativen Kern des Labels.

Es fehlt an Mut, in allen Bereichen anders zu denken. Die Mode der 80er und 90er Jahre bietet jungen Menschen gerade eine immense Inspiration. Damals gab es mehr Individualität! Heute ist der Endkunde oft mutiger als der Einzelhandel. Ich wünschte mir hier mehr Risiko beim Einkauf, um auf lange Basis ein diverses Angebot mit verschiedenen Handschriften auf dem Markt zu platzieren.

Auf welche Erfolge blickst du mit deiner recht jungen Kollektion zurück?

In den letzten zwei Jahren ist so viel passiert. Ich durfte meine Kollektion auf der Berlin Fashion Week und Berliner Salon zeigen. Meine Kleidungsstücke werden im KaDeWe verkauft. Und Christiane Arp, Stilikone und langjährige Chefredakteurin der deutschen Vogue, trägt einen Blazer von mir. All das gleicht für mich einem Ritterschlag.

Welche Tipps gibst du jungen Talenten mit auf den Weg?

Follow your heart! Jeder Schritt in der Laufbahn führt zu dem Ergebnis, das du dir wünschst. •

Words: KAROLINA LANDOWSKI
Pictures Société Angelique, Gregor Hohenberg