As Sustainable as Possible

 

Als Heiko Wunder 2012 das Modelabel wunderwerk gründete, war er einer der Pioniere der Eco-Fashion-Szene. Inzwischen betreibt er sechs Stores in ganz Deutschland, einen Onlineshop und verfolgt weiterhin sehr konsequent und überzeugend eine nachhaltige Lebensweise. VIVID traf ihn in seinem Showroom in Flingern.

 

Herr Wunder, Sie haben vor etwas mehr als zehn Jahren wunderwerk gegründet. Wie kam es dazu, dass Sie sich nachhaltiger Mode verschrieben haben?

Nach dem Abitur habe ich eine Ausbildung zum Industriekaufmann bei dem seinerzeit großen Textilunternehmen Steilmann gemacht, wo ich klassische HAKA gelernt habe. Anschließend habe ich bei verschiedenen großen Textilunternehmen wie Esprit oder O’Neill gearbeitet und war oft in Fernost. Wenn Sie dort in eine Wäscherei kommen und es so stark nach Chemikalien riecht, dass Sie die Luft anhalten müssen, aber die Menschen arbeiten hier 14 Stunden am Tag, dann wird Ihnen klar, dass das nicht gesund sein kann.

wunderwerk ist ein nachhaltiges Label. Wie definieren Sie den Begriff?

Für Heiko Wunder ist Nachhaltigkeit ein Herzensthema. Auch für sein Label wunderwerk gilt entsprechend: so nachhaltig wie möglich.

Ich denke, zu 100 % nachhaltig gibt es nicht. Aber man kann versuchen, so nachhaltig zu arbeiten und zu leben wie möglich. Wir bei wunderwerk orientierten uns an den drei Nachhaltigkeitssäulen: Ökologie, Ökonomie und Soziales. Zusätzlich beziehen wir noch den Gesundheitsaspekt mit ein. Wichtig ist uns dabei, dass alle Bereiche gleichzeitig bedient werden.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Ein Kilogramm konventioneller Baumwolle braucht in der Herstellung bis zu sechs Kilo Chemie. Industriell eingesetzter Dünger verantwortet über ein Drittel des weltweiten CO2-Verbrauchs. Das ist mehr, als alle Schiffe und Flugzeuge zusammen ausstoßen. Baumwolle braucht ungefähr 20 Prozent dieses Düngers. Daher verarbeite ich seit Beginn ausschließlich Biobaumwolle, und es ist wichtig, dass die komplette Branche umsteigt. Das ist für mich ein politisches Thema.

Der Anspruch „so nachhaltig wie möglich“ zu handeln, zieht sich bei Ihnen durch die ganze Wertschöpfungskette.

Absolut. Wir verzichten weitesgehend auf Plastik, bei den Verpackungen wie auch bei der Produktion. Viele andere Hersteller halten sich ganz genau an die Vorschriften des Global Organic Textile Standards (GOTS). Das ist für mich grundsätzlich ein sehr gutes Zertifikat, aber es erlaubt beispielsweise 30 Prozent Polyester in einem T-Shirt – für mich ein No-Go. Wir haben uns von Anfang an dafür eingesetzt, komplett nachhaltige Materialien zu verwenden und auch mit zu entwickeln. Dazu gehört die Faser Modal Edel-weiss©, die aus heimischem Buchenholz hergestellt und von uns mit einer Biobaumwolle kombiniert gefertigt wird. Wir waren übrigens die erste Modefi rma, die dieses Material verwendet hat. In unseren Jeans sind 1,5 bis 3 Prozent Elasthan enthalten. Hier verwende ich den Kunststoff, da er noch deutlich langlebiger elastisch bleibt als ein Elasthan aus Kautschuk. Das ist auch Nachhaltigkeit: dass Teile möglichst lange tragbar sind.

Ich denke, zu 100 Prozent nachhaltig gibt es nicht. Aber man kann versuchen, so nachhaltig zu arbeiten und zu leben wie möglich.
— Heiko Wunder

Auch bei den Details achtet Heiko Wunder auf Nachhaltigkeit und verwendet z. B. Knöpfe aus reinem Metall, Perlmutt oder Steinnuss, die in Wuppertal gefertigt werden

Regionalität spielt für Sie auch bei anderen Materialieneine große Rolle.

Genau: Alles sollte „Bio“ und so regional wie möglich sein. Dazu gehört übrigens, dass unsere Merinowolle von Schafen stammt, die kontrolliert biologisch gehalten werden. Unsere Jeans-Knöpfe werden in Wuppertal gefertigt, und sie enthalten keinen Kunststoff, sondern sind aus reinem Metall, andere Knöpfe sind aus Perlmutt oder Steinnuss. So hat man übrigens schon früher Knöpfe gemacht – witzig, dass wir wieder zu Rohstoffen und Materialien zurückkommen, die man bereits vor vielen Jahrzehnten verwendet hat. Wir wollen der Industrie seit unserer Gründung zeigen, dass wirklich nachhaltige Mode machbar ist. Und jetzt, zehn Jahre später, kann kaum eine Marke oder ein Textilunternehmen noch auf das Thema Nachhaltigkeit verzichten. Ich hätte niemals gedacht, dass diese Entwicklung so schnell voranschreitet.

Wenn ich schon keine konventionelle Baumwolle verwende, wie kann ich dann „gebrauchte konventionelle“ Baumwolle über den Schönfärbweg Recycling verwenden?

Ein großes Thema in der Branche ist in diesem Zusammenhang Recycling. Sie verzichten vollständig auf recycelte Materialien. Warum?

Regionalität ist wichtig: wunderwerk lässt zu 70 Prozent in der EU, konkret in Portugal, Polen oder Griechenland fertigen, die Jeans kommen aus Nordtunesien, die Rohstoffe z. B. aus Österreich.

Recycelte Baumwolle ist für mich mit das Schlimmste überhaupt. Wenn ich schon keine konventionelle Baumwolle verwende, wie kann ich dann „gebrauchte konventionelle“ Baumwolle über den Schönfärbweg Recycling verwenden? Das Recycling ist sehr energieintensiv. Ein Großteil der Bekleidung ist zudem nicht sortenrein und daher für Kleidungs-Recycling nicht geeignet oder aus Plastik wie Polyester, Acryl oder Polyamid.

Materialien sind natürlich nur ein Teil der Wertschöpfungskette. Wieviel Wert legen Sie auf Social Responsibility? Wo lassen Sie Ihre Mode produzieren?

Wir lassen zu 70 Prozent in der EU fertigen, in Portugal, Polen oder Griechenland. Unsere Jeans kommen aus Nordtunesien, der Transportweg ist jedoch kürzer als von Portugal. Und unsere Rohstoffe kommen z. B. aus Österreich. Produktionsländer wie China, Bangladesch oder Vietnam sind für uns ein No-Go

Da Sie so konsequent eine Produktion in Fernost ablehnen: Nachhaltige Mode und Wirtschaftlichkeit – wie lässt sich das vereinbaren, auch im Hinblick auf die Bezahlbarkeit dieser Mode?

Etwa 110 Millionen Jeans werden jedes Jahr nach Deutschland importiert. Der Durchschnittspreis für eine Jeans sind 40 Euro. Die meisten davon entstammen natürlich der Fast-Fashion-Industrie. Bei uns kostet eine Jeans zwischen 119 und 139 Euro, und zwar mit einem sehr guten Preis-Leistungsverhältnis. Dafür sind sie aus bestechenden Qualitäten, ohne giftige Chemikalien gefertigt und „regional“: Stoffe aus Italien, Spanien und Portugal, Garn aus England, Nieten aus Wuppertal und das Labeling aus Dänemark. Das kostet natürlich mehr als eine Hose, bei der alles aus Billiglohnländern stammt.

Heiko Wunder verwendet für seine Mode seit Beginn ausschließlich Biobaumwolle, „und es ist wichtig, dass die komplette Branche umsteigt“, ist er sich sicher.

Wie können Sie trotzdem bei einem vergleichsweise niedrigen Preis bleiben?

Wir verzichten fast vollständig auf Marketing und kontaktieren und informieren unsere Kunden lieber direkt über unseren Newsletter. Dazu kommt: Ich kalkuliere nicht wie Marken, für die ich früher gearbeitet habe, die meist riesige Aufschläge gemacht haben. Ich kaufe zudem sehr viele Stoffe selbst oder entwickele sie sogar mit. Daher kann ich große Mengen zu einem günstigen Preis bekommen.

Auf Ihrer Website habe ich ich folgendes Zitat gefunden: „In der Zukunft wird es ausschließlich nachhaltige Mode geben und Bio & Co. als selbstverständlich gelten“. Was bedeutet das für die globale Modeindustrie?

Die Textilindustrie muss umdenken – was sie natürlich schon tut. Bei fast allen Fast-Fashion-Ketten gibt es inzwischen Teile aus Biobaumwolle zu kaufen. Allerdings muss auch hier noch viel passieren. Die Menschen müssen insgesamt nachhaltiger konsumieren, Produkte kaufen, die giftfrei, qualitativ hochwertiger sind und entsprechend länger halten. Daher ist auch Aufklärung so wichtig, die Menschen darüber zu informieren, was sie konsumieren. Es muss definitiv einen Paradigmenwechsel geben, und momentan sind wir da schon auf einem sehr guten Weg.

Vielen Dank für das Gespräch. •


Words Katja Vaders
Pictures TWENTY ONE STEPS STUDIOS