Our New Relationship with Fire

 

Die Langen Foundation, eine renommierte Adresse für Kunstausstellungen auf dem Gelände der ehemaligen NATO-Raketenstation bei Neuss, öffnet seit Herbst 2022 den Blick auf unseren sich erwärmenden Planeten: Mit Julian Charrière hat sich die Stiftung einen Künstler an Bord geholt, für den die Natur und ihre Transformation die Grundlage seiner Arbeit ist. In seiner Ausstellung „Controlled Burn“ beschäftigt er sich in multimedialer Form – ob als Film, Fotografie, Skulptur oder opulente Installation – mit der ambivalenten Faszination für das Feuer: als Zeichen der Zerstörung und Genesis. Ein Gespräch mit dem Künstler über seine Arbeit, seinen Zugang zur Welt und die Souveränität der Natur. 

 

Julian Charrière, And Beneath It All Flows Liquid Fire, 2019 Installation View, Towards No Earthly Pole Aargauer Kunsthaus, Aarau, Switzerland Copyright the artist; VG Bild-Kunst, Bonn, Germany. Photo: Jens Ziehe

Julian, wie würdest du das aktuelle Verhältnis von uns Menschen zur Natur beschreiben?

In einem Wort: vertrackt. Wenn Wissenschaftler von „beängstigend“ sprechen, oder der UN-Generalsekretär von „Hölle“ und „Apokalypse“, weiß man, dass die Dramatisierung des Begriffs der Natur nicht mehr der Kunst alleine vorbehalten ist. Das bedeutet auch eine neue Anerkennung der Natur als wertvolles Gegenüber und als notwendig teil-autonome Sphäre, die uns – den Menschen und Kindern der industriellen Moderne – eine neue Diplomatie oder Bereitschaft zum Miteinander abverlangt. Dazu gehört auch eine neue Sensibilität für die Tiefe und Breite des Begriffs „Natur“. Ich möchte mit neuen Bildern mit vielschichtigen, aber klaren Inhalten zu dieser neuen Sensibilität beitragen.

Wie blickst du als Künstler auf die Welt – zum Beispiel wenn du für deine Arbeiten auf Reisen bist?

Reisen ist ja immer ein Erkunden und ein Sich-Aussetzen – aber immer auch eine Art „Neu-Konstellierung“, wenn man es ernst nimmt. Man sieht, wie unsere Normalität mit entfernten Orten zusammenhängt und dass unsere Wahrheit auch an diesen Rändern unserer Welt liegt. Aber wir erleben auch, dass der Schwelbrand der Moderne, den wir Westlichen in alle Welt getragen haben, zu uns zurückkehrt. Der Teppich fängt ja auch bei uns an zu brennen, und wir sehen, wie unsere „Comfort Zones“ langsam beginnen zu glimmen. 

„Die Wissenschaft befruchtet die künstlerischen und kulturellen Diskurse ungemein – und umgekehrt.“

Julian Charrière, Pure Waste, 2021 Video Still Copyright the artist; VG Bild-Kunst, Bonn, Germany

Für deine Arbeiten führst du oft Feldforschungen durch. Wie gehst du dabei vor? Was passiert da genau?

Es gibt keine einheitliche Methode der künstlerischen Forschung. Aber ich kann sagen, was mir dabei wichtig ist. Zum einen ist es das Risiko, sich auszusetzen. Ich nehme natürlich immer Inspirationen aus meinen Vorrecherchen mit an die Orte, die ich besuche. Aber bevor es an die Konzeption oder Produktion geht, muss der Ort erst einmal selbst sprechen. Ich besuche Orte, um zu sehen und zu hören, was sie zu sagen haben – es ist in gewisser Weise die Fortsetzung meiner Lektüre. Dann ist mir auch wichtig, dass es einen interkulturellen und interdisziplinären Dialog zwischen meiner eigenen, künstlerisch orientierten Forschung und den wissenschaftlichen, kulturellen Forschungen und
Diskursen gibt. Oft beteilige ich mich daher auch an bestehenden Forschungsprojekten oder ich arbeite mit ihnen zusammen. Und ich werde dabei auch so etwas wie ein Medium, ein Übersetzer.

Brauchst du für Deine Arbeiten nicht auch sehr umfangreiche naturwissenschaftliche Kenntnisse? Und stehen diese einem künstlerisch und „freien“ Zugang nicht womöglich im Wege?

Es ist ja eine alte Weisheit: dass Kunst und Wissen immer in einem konstruktiven Spannungsverhältnis stehen müssen. Aber wenn ich bei meinen Arbeiten immer genau wüsste, was geschieht, wäre meine Kunst wohl keine mehr. Das Max-Planck-Institut beispielsweise kooperiert seit 2013 mit dem Haus der Kulturen der Welt zum Thema Anthropozän, dem Zeitalter des Menschen, – und das nur, weil Kunst eine Rolle in der realen Neubestimmung von „hartem“ Wissen und von Forschungsmethoden überhaupt spielt. Anderseits verdanken wir den Impuls, das Anthropozän zu denken und damit tiefer zu schauen, der Geologie. Die Wissenschaft befruchtet die künstlerischen und kulturellen Diskurse ungemein – und umgekehrt.

Was ist deiner Ansicht nach die Aufgabe der Kunst? Hat Kunst überhaupt eine Aufgabe?

Sicher ist es eine schwierige, ja problematische Sache, Kunst in den Dienst einer Sache, selbst einer Gruppe zu stellen. Aber natürlich steht das künstlerische Feld in Gemeinschaft, zum Beispiel mit dem kulturellen, dem sozialen oder dem politischen Feld. Was mir an der Gegenwart besonders und interessant erscheint, ist, dass Fragen der Souveränität – in jeder Hinsicht – neu verhandelt werden. Darum geht es ja auch im Diskurs ums Anthropozän: dass der – geologisch aufgefasste – Planet seine alte „Souveränität“ verliert. Und mit ihm die Natur – und letztlich auch der Mensch. Ich denke, es ist wichtig, erneut anzuerkennen, dass Tiere, Flüsse, Bäume, ja sogar Vulkane ihre eigenen Rechte und kulturellen Rollen haben sollten. Und dass die verschiedenen Souveränitäten der Natur nicht als Gegensatz zu „uns Menschen“ misszuverstehen sind. Deshalb sollte Kunst meines Erachtens auch die Arbeit mit und an den entsprechenden neuen Souveränitäten sein.

“Fire has been
strangely banished
from our public
spaces”

Julian Charrière 

Controlled Burn“ in der Langen Foundation in Neuss ist deine bislang umfangreichste Ausstellung. Welche Rolle spielt hier das Feuer? Was fasziniert dich an ihm?

Feuer beschäftigt uns ja mittlerweile alle, und es ist ein leidlicher Protagonist der 8-Uhr-Nachrichten geworden. Aber natürlich hat es auch kulturelle, ästhetische und geokulturelle Bedeutungen, die über Waldbrände und Megafeuer hinausweisen. In meiner Ausstellung geht es vor allem um die archetypische Transformation und die Verbindung von Zerstörung und Schöpfung. Ich bin schon lange fasziniert von Vulkanen und ihrer Ausdruckskraft und Bedeutung. Ebenso interessiert mich die ganze Tragweite der Figur der Verbrennung – auf der unsere Moderne ja aufbaut. Unser Alltag ist bestimmt – und überhaupt ermöglicht – von andauernden Verbrennungen an den Rändern unseres Sichtfeldes oder versteckt in den Black Boxes, die wir Motoren, Öfen oder Batterien nennen. Das Feuer wurde auf seltsame Weise verbannt aus unseren öffentlichen Räumen – und gleichzeitig ist es allgegenwärtig. Eine Frage kann aber auch sein, wie all das zusammenhängt: Vulkane, natürliche Brände, Ästhetiken des Feuers, Geokulturen des Feuers und die Rolle der Verbrennung als Grundlage der Moderne.

Ein weites Feld …

Ja, das ist es. Auf jeden Fall scheint mir eine Reflexion und Neuinterpretation des komplexen und ambivalenten Verhältnisses von Mensch, Planet und Feuer angezeigt. Ohne Feuer und ein neues Verhältnis zu Feuer wird es keine Zukunft geben. •

Die Ausstellung „Controlled Burn“ in der Langen Foundation in Neuss ist noch bis zum 26. August 2023 zu sehen. 

www.langenfoundation.de

Julian Charrière, Controlled Burn, 2022 Copyright the artist; VG Bild-Kunst, Bonn, Germany


about Julian Charrière 

Julian Charrière (geboren 1987 in Morges, Schweiz) studierte Kunst an der Schweizer École cantonale d’art du Valais und am Institut für Raumexperimente an der Universität der Künste in Berlin. In seinen Werken, in denen er Kunst, Wissenschaft und aktuelle Themen der Anthropologie miteinander verbindet, untersucht er besonders kritische Orte des ökologischen Wandels. Charrières Arbeiten wurden in Einzelausstellungen bereits in zahlreichen internationalen Institutionen gezeigt, zum Beispiel in der Parasol Unit Foundation, London (2015), im Musée des Beaux-Arts, Lausanne (2014) sowie aktuell und noch bis zum 14. Mai 2023 im SFMOMA, San Franciso. Vertreten war Charrière ebenso bei wichtigen Ausstellungen wie kürzlich bei der 59. Biennale di Venezia, Collateral Events (2022) und bei der 16. Biennale de Lyon (2022). Der Künstler lebt in Berlin.. 


Words Elena Winter
Pictures Julian Charrière