THE WHEELS ARE TURNING
Düsseldorf war mal wer im Radsport. Bis in die 30er Jahre gab es sechs große Radrennbahnen in der Stadt. Eine lange verschüttete Tradition, die inzwischen neues Leben gewinnt. Beispielhaft für die neue Düsseldorfer Bike-Community sind Cross-Rennen wie das „QuerFeldRhein“, das neue Profil des Klassikers „Rund um die Kö“ und Events wie die Cyclingworld Europe. Pacemaker sind oft Bike Stores wie „La Bici“, „Schicke Mütze“ und „Awsum“. Sie alle stehen für die neue Lust aufs Rad.
Faszination Bike: Cyclingworld Europe im Areal Böhler.
Große Geschichten starten oft in kleinen Zimmern, in Garagen oder im Hinterzimmer, gleich hinter der Werkstatt. Manchmal riechen sie nach Schmieröl und frisch gummierten Reifen - zumindest, wenn es Radsportgeschichten sind: „An diesem Tisch wurde die Strecke der Tour de France 2017 geplant“, sagt der Mann mit den warmen, verschmitzt lächelnden braunen Augen. Es ist Sven Teutenberg, Düsseldorfs bekanntester Rad-Profi, der in seiner Laufbahn alle Grand Tours fuhr – die Tour de France, den Giro d’Italia und die Vuelta a España. Die Tour-Plakate an den Wänden von „La Bici“, dem Fahrradladen, den Sven seit 2002 erfolgreich betreibt, sind stolze Zeugen für die Grande Boucle: Die „große Schleife“, die sich auch durch sein Leben wie eine lange Schleife zieht. Denn von der ersten Idee, die Tour an den Rhein zu holen, bis zum Auftakt am 1. Juli 2017 vergingen zwölf Jahre.
Der erste Versuch 2006 ist gescheitert, weil mit dem damaligen Oberbürgermeister Joachim Erwin und Alexander Liebkind, dem Leiter von Düsseldorf Marketing und Tourismus, zwei Fürsprecher und mächtige Macher verstarben. 2015 macht Sven einen neuen Versuch. Der glückt! Mit Thomas Geisel bekleidet ein Fahrrad-Enthusiast das erste Amt der Landeshauptstadt: „Was für ein Glücksgefühl, als im Dezember 2015 der Anruf aus Paris kam und wir den Zuschlag erhielten – endlich auf der Zielgeraden!“
Tour de France: Radsportprofi Sven Teutenberg plante die Strecke.
Sven wird Event Manager, verantwortlich für Sport und Organisation – und damit auch für die Streckenführung. Die wird im Team mit Tour-Chef Christian Prudhomme am Tisch im Hinterzimmer festgezurrt. Der Rest ist Geschichte: Der Grand Départ wird zum weltweiten Blitzlichtgewitter- und Medienspektakel – ein großer Erfolg. Bis es so weit ist, liegt eine Bergetappe vor dem Team, das in Düsseldorf den Start vorbereitet. Sein Fazit: „Der Tour-Start hat viele Menschen für den Radsport begeistert, neu gewonnen und bestärkt“, sagt Sven heute.
Cyclingworld Europe: Mehr als 25.000 Besucher sind im Areal Böhler dabei.
Etwas Großes ist auch in anderer Hinsicht geblieben. Denn aus der Cyclingworld, die ursprünglich eine Bike- Ausstellung im Vorfeld der Tour war, hat sich seit 2017 eine Eventmesse und Ausstellung entwickelt. Heute zählt sie zu den größten Veranstaltungen der Bike- Community in Europa. Zur sechsten Auflage der Cyclingworld Europe kamen im März mehr als 25.000 begeisterte Rad(-sport)fans ins Areal Böhler. Über 320 Aussteller mit mehr als 500 Marken sind auf der dreitägigen „Ausstellung für feinste Radkultur“ zu sehen. „Damit sind wir die größte Bike-Community-Convention in Europa“, sagt Torsten Abels, der Projektleiter des Veranstalters EVENTS- 4iDEAS.
„DER TOUR-START HAT VIELE MENSCHEN FÜR DEN RADSPORT BEGEISTERT, NEU GEWONNEN UND BESTÄRKT.“
Messe mit Festivalcharakter – dafür steht die Cyclingworld. Im Indoor- und Outdoor-Bereich des ehemaligen Stahlwerks dreht sich alles um das Testen, den Austausch, gemeinsame Ausfahrten, Rennen sowie Kulturund Musikprojekte: „Die Cyclingworld ist so vielfältig, bunt und spannend wie die Bike-Szene“, sagt Torsten. Dazu passen Charme und Atmosphäre der Industrieanlage. Erst vor wenigen Wochen wurde der Vertrag mit dem Areal Böhler für weitere fünf Jahre verlängert. Schon im kommenden Jahr geht es mit dem Erfolgsmodell in die USA: Dann findet die Cyclingworld New York City in Manhattan statt. Premiere ist am 1. Mai 2025, zeitgleich zur TD Five Boro Bike Tour, einem der weltweit größten Events für urbane Fahrradkultur: „Es tut sich sehr viel, was das Radfahren und die Bike-Kultur anbelangt – aus ganz unterschiedlichen Ecken, mit vielen verschiedenen Impulsen“, sagt Abels.
Carsten Wien lebt die Leidenschaft fürs Bike.
Ein Trend zur neuen Vielfalt, der sich auch bei anderen Rad-Events in Düsseldorf beobachten lässt. So hat sich der Klassiker „Rund um die Kö“, den es bereits seit 1968 gibt, deutlich verändert - anfangs gegen Vorbehalte aus dem Vereinssport. Aktuell wird das Rennen vom Cycling Club Düsseldorf veranstaltet. Neuerungen kommen vielfach von treibenden Köpfen aus der Bike-Community selbst. So wie von Carsten Wien und Kerstin Kortekamp, beide Mitinhaber des Fahrradladens „Schicke Mütze“. Carsten und das Team von „Schicke Mütze“ waren die ersten, die in Deutschland Ausfahrten für klassische Rennräder als Gemeinschaftstouren veranstalteten. Kerstin, die inzwischen seit zehn Jahren eigene Touren für Frauen organisiert, rief 2018 die Initiative „Frauenbewegung Rennrad“ ins Leben. Auch im Organisationsteam „Rund um die Kö“ sind beide engagiert und sorgen für Impulse. Das zeigt Wirkung: Inzwischen reicht das Spektrum des Kö-Klassikers von Lizenz- bis zu Hobbyrennen mit Starterfeldern für ambitionierte Hobbyleistungssportler und Semi-Profis bis hin zum Laufrad-Rennen für Kinder und dem populären Lastenrad-Rennen. Fester Bestandteil ist auch der Petit Départ: Hier starten Kinder in drei Disziplinen im Ausdauerrennen, im Sprint und auf dem Geschicklichkeitsparcours. Das alles kommt gut an: Fast 20.000 Zuschauende waren zuletzt dabei, gut 500 Teilnehmende drehten ihre Runden – ein Vielfaches von dem, was vor wenigen Jahren den Straßenrand säumte. Termin in diesem Jahr ist der 11. August. •
Words: Dr. Mike Seidensticker
Pictures: Cyclingworld Europe/Tobias Seidel, Kerstin Kortekamp, Carsten Wien